Dezember 22, 2009
Goodbye Old Year - Hello New Year
Zum Jahresende fragt man sich oft, was die letzten zwölf Monate ausgemacht hat, was das Wichtigste an ihnen war. Man fragt sich, ob man erfolgreich war, ob man gut gehandelt hat und ob Bedeutsames in Vergessenheit geraten ist. Aus den gewonnenen Erkenntnissen schließt man auf Vorsätze, was man im kommenden Jahr besser machen will.
Ist es albern, ein derartiges Rückbesinnen zeitlich an einem religiösen Fest zu orientieren, obwohl man längst den Glauben an die dahinter stehende Religion verloren hat? Sicher. Aber einen traditionellen Termin für eine Gedenkzeit zu haben, die man nicht so leicht vergisst – unbezahlbar (um es mit dem Slogan der einschlägigen Werbung zu sagen).
Highlights 2009
Das Schlaueste, was mir gesagt wurde:
Ärger macht man meistens nur sich selbst und diejenigen, gegen die sich der Ärger richtet, bleiben unbehelligt. Nicht umsonst heißt es sich ärgern.
Das Anregendste, was ich gelesen habe:
„Beim Philosophieren sollte man nicht versuchen, einen lächerlich unreifen, aber zugleich quälenden Gedanken zu verbannen und abzuurteilen, ohne ihm genügend Zeit einzuräumen und die bestmögliche Verteidigung zukommen zu lassen.“
Philippa Foot, Die Natur des Guten (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2004) 15.
Das Schönste, was ich gesehen habe:
Massenweise Schmetterlinge an einem Spätsommernachmittag im Park und das angedeutete Lächeln eines zwei Tage alten Säuglings.
Das Unterhaltsamste, was ich gehört habe:
Die Kleingeldprinzessin live und solo.
Das Beste, was ich getan habe:
Die nie endende Anstrengung, jungen Menschen zu helfen, etwas zu lernen.
Dezember 08, 2009
Is Dancing a Special Form of Communication?
I have been dancing for several years now and while a was watching a video of some very good swing dancers recently I began to think about dancing as a form of communication. I actually find it a wonderful way to practice to really listen to each other. The roles of leading and following are clearly allocated, thus creating a perfect and secure space to practice communication along given lines.
One could obviously object that the communication happening among the dancing couple is not the only communication happening. They also narrate the story of their personal identities to some sort of audience most of the time. Still, besides this probably more egocentric interlocution, the dancers must communicate very carefully with each other.
Especially in swing dance, which becomes alive through improvisation and must not cling to determined step sequences, it is vital that the follower is constantly in a state of intent attention whereas the leader gives him or her exactly the signals he or she needs. (There is no determined role assignation concerning male and female either.)
Is this not the perfect communicative situation? Absolute concentrationon each other and each others needs. Swing dancers say that the follower is the queen (as mostly there are females dancing in the position of the follower). Yet, she is supposed to make her leader look good, whereas he or she is supposed to make the follower feel good. Would this not be a great strategy in everyday communication either?
Oktober 09, 2009
Die Integrations-Debatte lenkt ab und schlägt neue Schneisen
Wie schön, dass das Interview mit Thilo Sarrazin über misslungene Integration von wichtigeren Themen ablenkt. Die Beschwörung von ausgrenzenden Bildern wie des der Migranten wirkt beruhigend auf die Bevölkerungsmehrheit. Für die Politik ist es ungemein praktisch, dass die Bürger aufgebracht über die im Gegensatz zu den finanziellen Hilfen, die für Banken ausgeschüttet und verbürgt wurden, geringen Beträge debattiert, die für angeblich integrationsunwillige Migranten an staatlichen Geldern ausgegeben werden. Sonst könnte es doch sein, dass einige Menschen sich fragen, wie es sein kann, dass Finanzinstitute riesige Staatshilfen annehmen müssen und dann wieder Boni an ihre Mitarbeiter auszahlen, statt dem Staat etwas zurück zu geben.
Natürlich ist dies eine Vereinfachung, doch es ist nicht zu bestreiten, dass der Bankensektor wegen seiner Systemrelevanz gerettet wurde. Obwohl sich gerade erst erwiesen hat, dass Institute in dieser Größe (mit dieser Relevanz) offensichtlich ganz besonders schlecht für den Staat sind, wird an der Situation nichts geändert. Von hartem Durchgreifen kann in keiner Weise die Rede sein. Natürlich gilt es, Regelungen für einen so großen und zentralen Wirtschaftbereich international festzulegen. Aber gerade dann könnten international organisierte Proteste der Bevölkerungen ein politikfeindliches Klima schaffen, wenn weiterhin nichts passiert.
Besonders in Deutschland, in dem sich die Regierung nach der Wahl erst finden muss, würde eine Debatte über derartige politische Forderungen der Bürger die Politiker nur stören. Neue Allianzen mit Lobbyisten und Bankvorsitzenden müssen doch zunächst einmal geschmiedet, neu ausgehandelt beziehungsweise der neuen Lage angepasst werden. Wie gut also, dass das Land sich lieber über die Integrations-Frage unterhält, statt darüber zu streiten, wie Wirtschaft und Politik in Zukunft neu gestaltet werden müssen. Das Thema der Abgrenzung von fremden kulturellen Gruppen eignet sich gerade in Zeiten der Unsicherheit hervorragend, eine neue gefühlte Einigkeit herzustellen. Besonders jetzt, da die Schere zwischen Arm und Reich noch offensichtlicher in den Vordergrund tritt und Gründe dafür durch die Krise ans Licht treten, ist es für die politische Situation beruhigend, dass die Bürger sich unter dem Label Deutsch sammeln.
Wer Migranten als Problemfeld benennt, unterstreicht automatisch die Zusammengehörigkeit der im Lande lebenden Gruppe. Und diese ist ja im Moment schwer erschüttert. Was läge also näher, als zur Ablenkung eine Debatte um Identität anzuzetteln, die nationale Gefühle anspricht? Da muss man sich als Deutscher selbst nicht mehr am unteren Rand der Gesellschaft sehen, der immer weiter vom oberen Rand abdriftet, sondern kann sich gemeinsam mit allen Reichen als Deutscher fühlen. Nicht nur die Politik, sondern auch die Oberschicht kann sich freuen, dass ihnen doch niemand ihre Privilegien streitig macht. Wo doch gerade so beunruhigende Themen wie eine Reichtumssteuer in der Öffentlichkeit aufgetaucht waren.
Ohne den nationalen und Identität stiftenden Schleier, der durch die Integrations-Debatte ausgebreitet wurde, sieht die Realität nämlich gar nicht schön aus. Wir leben in einem Land, in dem Geld und das Geschäft mit dem Geld wichtiger sind als die Ausbildung unserer Kinder. Das hat die Krise eindrucksvoll gezeigt. In dieser Gesellschaft ist die Erhaltung der Wirtschaft wichtiger geworden, als der Dienst, den sie der Gesellschaft eigentlich erweisen sollte. Die Arbeit ist nicht mehr für die Menschen da, sondern diktiert ihnen ihr Leben. Damit soll nicht gesagt werden, dass die Regierung sich in der Krise falsch verhalten hat. Aber es sollte jetzt endlich darüber nachgedacht werden, wie das internationale Wirtschaftssystem so werden konnte, dass nationale Regierungen in Krisenzeiten nicht anders reagieren können. Es gilt jetzt, darüber nachzudenken, was für die Zukunft dringend geändert werden muss.
Nach jahrelangen Weigerungen, mehr Geld für Bildung zu investieren, war es kürzlich kein Problem schnell und unbürokratisch unvorstellbare Summen für den Finanzsektor zu bewegen. Die Prioritäten sind also klar benannt. Wenn nun eine Debatte entbrennt, dass sich Kinder aus Unterschichten, die nicht richtig Deutsch sprechen und keine Zukunft für sich in diesem Land sehen, alternativen Räumen zuwenden, so ist das längst überfällig. Warum aber wird dieses Problem an Migranten festgemacht? Selbstverständlich liegen alternative Räume mit der ursprünglichen Kultur und Religion bei vielen Zugezogenen nahe, aber dabei handelt es sich lediglich um ein spezifisches Symptom dieser Problematik.
Zudem wird mit dem Fokus auf türkisch-stämmige Migranten ein anderes Problem in den gleichen Topf geworden. Hier muss nach jahrzehntelanger fehlgeschlagener und ignoranter Politik nun einfach hingenommen werden, dass sich eine türkische und muslimische Kultur in Deutschland etabliert hat. Diese sollte nicht länger unterdrückt, sondern endlich aufgenommen werden. Selbstverständlich kann man sich über bessere und verpflichtende Deutschkurse (sowie auch dringend benötigten Unterricht in der Muttersprache) für Einwanderer und ihre Kinder unterhalten. Diese Menschen brauchen vielleicht noch mehr als deutschstämmige Kinder aus der Unterschicht die Hilfe der Gesellschaft, um die erste Hürde zur Partizipation in diesem Land zu nehmen: die deutsche Sprache. Aber Kinder türkischstämmiger (Groß-)Eltern, die in diesem Land geboren wurden, sind ein gänzlich anderer Fall.
Da es durch den Zuzug türkischer Menschen und die Ignoranz gegenüber der Möglichkeit, dass sie in Deutschland bleiben würden, so ergeben hat, dass sich eine besondere deutsch-türkische Kultur entwickelt hat, muss anders reagiert werden. Es ist lächerlich (und unserem ideologisch verblendeten blutsverwandtschaftlichen Staatsbürgerrecht geschuldet), diese Menschen als Integrationsfälle anzusprechen. Es handelt sich um Mitbürger. Gegebenenfalls sind es Mitbürger, die straffällig geworden sind oder die sich staatsfeindlich äußern. Damit wäre allerdings eine strafrechtliche und die Strafverfolgung betreffende Diskussion angesprochen. Auch hier handelt es sich nicht um eine Debatte, die unter der Überschrift Migration an Klarheit gewinnen könnte.
Erkennen wir doch endlich an, dass türkische Einflüsse zu einem Teil Deutschlands geworden sind. Offensichtlich sollte die islamische Religion in den Schulunterricht aufgenommen werden. Bei einer Ganztagsschule und dem Grundgedanken, dass in jedem Religionsfach auch andere Weltreligionen behandelt werden, wäre somit der gegebenenfalls problematische Einfluss von religiösen Führern automatisch eingeschränkt. Machen wir Türkisch endlich zu einer flächendeckenden Fremdsprache, die als Unterrichtsfach belegt werden kann. Schon wären sich die Kulturen nicht mehr so fremd, da auch in Deutschland geborene Kinder mit deutschen Eltern plötzlich in größerer Zahl etwas über den Islam erfahren und Türkisch sprechen würden. Zudem liegt hier ein großes Potenzial für Arbeitsplätze bei der internationalen Verständigung und auch der Krisenbewältigung von Konflikten mit muslimisch geprägten Kulturen.
Selbstverständlich gehört zu einer Annahme dieses Teils unserer Kultur auch, dass man sich gegebenenfalls einer Diskussion über einen angemessenen Umgang mit jugendlichen Straftätern stellen muss, die eben nicht christlich und zentral-europäisch geprägt sind. Zudem wäre es ebenfalls angebracht, zu akzeptieren, dass Lehrerinnen eben nicht nur liberal erzogene Kinder unterrichten und sie darauf vorzubereiten, mit Widerstand gegenüber ihrem Geschlecht umzugehen. Probleme muss man gewiss benennen, bevor man auf sie reagieren kann. Die eben genannten Problemfelder sind jedoch besser und unaufgeregter ohne die Migrations-Überschrift zu bewältigen. Denn es geht ja gerade darum, dass dies die Kultur unseres Landes ist, mit der wir umgehen müssen. Ansonsten kommen leicht fremdenfeindliche Tendenzen auf und die Lösung einer Abschiebung wird am Horizont sichtbar. (Auch eine Massenabschiebung käme den regierenden Politikern gegebenenfalls gelegen, könnten sie dann doch darauf hoffen, dass dies als große Sparmaßnahme gegenüber den riesigen Ausgaben für die Banken gewertet würde.)
Die Schneise, die eine Debatte über bildungspolitische Probleme und den Zerfall in Arm und Reich schlägt, wenn man sie unter der Überschrift Migration und Integration führt, ist offensichtlich. Automatisch ist die Unterschicht gespalten, in der es auch viel zu viele Kinder deutscher Eltern gibt, die (ohne zusätzlich eine Fremdsprache zu können) der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind und keine Zukunftschancen für sich sehen. Ein gemeinsamer Kampf wird von vorneherein durch die Einteilung in Wir und Ihr verhindert. Bildungspolitische Bemühungen und solche, die auf eine bessere Verständigung zwischen deutscher und deutsch-türkischer, christlicher und islamischer Kultur abzielen, werden behindert. Einen Gewinn gibt es nicht, denn die Probleme werden nicht etwa endlich klar benannt, sondern ideologisch verklärt.
Bestes Beispiel der desintegrativen, ausschließenden Kraft der momentanen Diskussion war die entsprechende Sendung der Fernsehshow Hart aber Fair vom 07. Oktober 2009. Hier wurde größtenteils an der einzigen anwesenden Muslimin, Frau Kilicarslan, vorbeigeredet, die zwischenzeitlich das Gesicht in den Händen verbarg, statt sie zu diesem Teil unserer Kultur zu befragen, die sie im DITIB vertritt. Nur die negativen Seiten, die sich aus einem solchen kulturellen Hintergrund ergeben können, wurden angesprochen.
Beim Zitieren der Worte, die Deniz Baspinar Anfang des Jahres in ihrer ZEIT-Kolumne geschrieben hatte, kam ein Hoffnungsschimmer auf. Süffisant ironisch beschrieb die Autorin mit türkischen Hintergrund, welche absurden Kriterien der Bewertung von Integration teilweise zugrunde liegen: „Wir sind mit deutschen Männern ausgegangen, haben uns angehört, dass sie nach ihrer letzten Beziehung, die erst fünf Jahre her ist, sich noch nicht wieder auf etwas Neues einlassen können.“ Nur wenige Sätze weiter heißt es in ihrem Beitrag: „Wir haben es offensichtlich nicht in ausreichender Zahl geschafft, diese Männer zum Standesamt zu schleppen, damit die Heirat in die Integrationsstatistik eingeht.“
Bei Plasberg hörte man nur einen kurzen Ausschnitt, doch die Ironie war sofort offensichtlich. Statt innezuhalten und über sich selbst zu lächeln, erdreistete sich Kristina Köhler von der CDU tatsächlich, zu konstatieren, dass dies doch endlich einmal ein Beispiel für gelungene Integration sei. Wie kann man es wagen, bei einer Frau, die in Deutschland lebt und für eine der renommiertesten Zeitungen des Landes arbeitet, durch das Label Integration zu unterstellen, dass sie eigentlich grundlegend anders ist als die anderen Bürger? Welche Rolle sollte ihr kultureller Hintergrund dabei spielen, dass sie als Deutsche anerkannt wird?
Für alle Menschen, die in Deutschland aufwachsen und zur Schule gehen, sollte es der Normalfall sein, dass sie gut Deutsch sprechen und angemessen auf einen Beruf vorbereitet werden. Sie sollten in einer Weise qualifiziert werden, dass sie im Anschluss auch Arbeit finden können. Ein Land, das es nicht schafft, für zahlreiche Haupt- und Realschüler (mit und ohne deutsche Eltern) eine Perspektive zu bieten, sollte sich zuallererst an die eigene Nase fassen. Die Frage nach einer gerechten Verteilung von Arbeit und der Schaffung neuer Arbeitsplätze muss geklärt werden, bevor man danach fragt, wer gegebenenfalls nicht arbeiten will. Exzellente Bildung muss für alle erreichbar gemacht werden, bevor man danach fragt, wer sich ihr gegebenenfalls verweigert.
Weitere Stimmen zum Thema
Jörg Lau leitartikelte in der ZEIT unter der viel versprechenden Überschrift „Unter Deutschen“ und thematisierte die Ausschließung in der aktuellen Diskussion. Letztlich verfiel aber auch er in eine Wir-fordern-von-Euch-Ansprache.
Matthias Kolbeck bespricht in seinem Blog sachlich und präzise die rechtlichen Umstände, in die Sarrazins Äußerungen eingeordnet werden müssen. Allerdings ist es anscheinend auch für ihn kein größeres Problem, dass Sarrazin die oben genannten Probleme in dieser unschönen Weise vermischt.
Reinhard Mohr hat die Sendung von Hart aber Fair informiert im SPIEGEL kritisiert, aber auch er bleibt dabei, dass es darum gehe, Wahrheiten auszusprechen.
September 30, 2009
Determination and Freedom
The question of determination and free will has recently been very lively discussed with regard to neurobiology and its supposed proof of man’s determined nature. Yet, there are several direct objections that can be made from a philosophical point of view. Moreover, the question whether this relation must specifically be described in biological terms or whether such a description could even be adequate should be asked.
When biology states that all mental phenomena are identical with neurological phenomena a determination of mental actions does not necessarily follow. Obviously, an individual person cannot be described as free when she could act differently in any given situation. The same circumstances given, the individual would have to be called instable and maybe even schizophrenic when her actions were not determined by her personality. Personal preferences and convictions are what form the individual (cf. Pauen, 2005).
Thus, a certain determination by the environment through the personal development is always present. If neurobiology assesses that mental phenomena are identical with neurological phenomena, this actually has to mean that personal decisions can be described in mental as well as in neurological terms. The descriptions must be identically adequate.
Another argument against the much feared neurobiological determination of man can be made by verifying the foundations of natural science. If the objective observer in natural science were not free to observe objectively, her assertions of free will’s absence based on her observations could not make sense according to the requirements of natural science (cf. Heidelberger, 2005).
The question of determination compared to freedom is actually not a specifically neurobiological question. It has been discussed in philosophy for many centuries in various forms. It could even be traced back to religious discussions of the nature of man in relation to God. The point around which any of these arguments evolves explicitly or implicitly is the question of responsibility. Asking whether someone is free or not only makes sense when we want to hold her responsible for her actions.
Therefore, the assertions that a human being has a free will or that she is completely determined do not hold any useful information and do not point to any course of action in themselves. If she were completely determined (without any level of even personally determined decision), no suggestion how she should be treated would make any sense. The persons who were supposed to treat her would be equally determined. If she were completely free – that is not influenced by her environment at all – suggestions to human beings would be futile as they were not to reach by them.
Consequently, the point to investigate is the balance between determination and free personal choice. As this discussion (and the study of man in general) is centuries – even millenias old, it seems strange to try to solve it by using neurobiological arguments. Neurobiology and even the natural sciences as we know them today have only entered the cultural stage very recently – barely a couple of decades respectively a century ago. Information about human life and human beings has been gathered and discussed for so much longer. It seems far more adequate to turn to these older discourses or at least to consider them as well to investigate such a foundational question.
Sources
Heidelberger, Michael. “Freiheit und Wissenschaft! Metaphysische Zumutungen von Verächtern der Willensfreiheit.“ Neurowissenschaften und Menschenbild. Eds. Eve-Marie Engels and Elisabeth Hildt. Paderborn: Mentis, 2005, 195-219.
Pauen, Michael. “Keine Freiheit in einer determinierten Welt? Neurowissenschaftliche Erkenntnis und das menschliche Selbstverständnis.“ Neurowissenschaften und Menschenbild. Eds. Eve-Marie Engels and Elisabeth Hildt. Paderborn: Mentis, 2005, 171-193.
September 25, 2009
Spaziergänge durch die Erinnerungslandschaft
Die Erinnerung hat ihre Tücken. Besonders ärgerlich fällt dies auf, wenn man Gelerntes nicht mehr abrufen kann. Doch manchmal hilft ein Trick – ruft man sich die Umgebung, in der man gelernt hat, ins Gedächtnis, findet man oft auch den Zugang zu den gesuchten Inhalten wieder. Wenn das innere Auge z.B. den Schreibtisch abtastet, wird auf einmal auch die dort gelernte Lektion wieder zugänglich. Wieso funktioniert diese Vorgehensweise eigentlich?
Beim Anwenden dieser Erinnerungstechnik scheint es fast so, als erlebe man die neuronale Organisation des eigenen Hirns ganz plastisch. Informationen werden vom Gehirn in neuronalen Verknüpfungen eingelagert. Je mehr verschiedene Verknüpfungen, desto leichter ist das Gespeicherte abrufbar. Aber es gilt eben auch, dass die Erinnerungen über verschiedene Wege erreichbar sind. Ist der direkte Weg versperrt, kann man versuchen, die unmittelbare neuronale Umgebung zu durchforsten. Manchmal findet man so ganz plötzlich einen alternativen Zugang.
Im übertragenen Sinne schreitet man also die räumliche Landschaft des eigenen Gedächtnisses ab. Man möchte zu einem bestimmten Zimmer, das aber aus unerklärlichen Gründen versperrt ist. Auch noch so festes Rütteln an der Klinke nutzt nichts. Bricht man nun zu einem Spaziergang durch die umliegenden Räume auf, kann es sein, dass sich dort plötzlich eine Hintertür auftut. Sollte sich hier ein Gleichnis verstecken, das an die alte „mit dem Kopf durch die Wand“-Redensart anschließt? Jedenfalls sieht es so aus, als sei in Momenten der geistigen Blockade ein Spaziergang immer noch die beste Medizin.
September 02, 2009
Das Ich und das Hirn
Obwohl die Biologie seit Kurzem immer wieder Angriffe auf die Subjektivität, die Willensfreiheit und eine philosophisch gefasste Ethik unternimmt, bleibt vieles innerhalb ihres Vokabulars ein Rätsel. Wie ich bereits im Beitrag "Ethics Can Only be Described by Moral Understanding" (geposted Juli 15, 2009) ausgeführt habe, scheint es logisch unmöglich, einen Sachverhalt mit einer Theorie erklären zu wollen, der in dieser Theorie gänzlich unsichtbar bleibt. Mit einem Ansatz, der versucht, wissenschaftlich objektiv zu sein, kann demnach keine moralische Bewertung beschrieben werden. So weichen viele (Neuro-)Biologen darauf aus, die zur subjektiven Erfahrung gehörenden Bereiche schlichtweg als Illusionen zu bezeichnen. Wenn Ethik allerdings in unseren Kulturen vorkommt (und das Bestehen der Goldenen Regel als eines der ältesten Zeugnisse moralischen Denkens lässt sich z.B. einige Tausend Jahre zurückverfolgen vgl. Rentsch, 1990 259) und es in entsprechenden Diskurs tatsächlich um Bewertungen geht, dann läuft die Ignoranz der Naturwissenschaften auf schlichtweg unwissenschaftliche Borniertheit hinaus.
Ich denke, dass die Debatten, die um Abtreibung, Religion, Stammzellenforschung und so weiter geführt werden, sich nicht als reine Auseinandersetzungen mit den kulturellen Gepflogenheiten beschreiben lassen. Es geht den Teilnehmern hierbei nicht darum, auszuhandeln, welche Verhaltensweisen in welchen Kulturkreisen normal oder angemessen sind, sondern darum, zu bestimmen, was moralisch richtig ist. Darum brauchen wir bei der Debatte um Ethik ein anderes Denkmodell als das Biologische. Ich würde sogar wagen, zu behaupten, dass das biologische Vokabular uns bei keinem Sachverhalt weiterhilft, der sich darum dreht, was es heißt, menschlich zu sein.
Der philosophische Streit, der dem heutigen Diskurs zugrunde liegt, ist bereits alt und lässt sich am Leib-/Seele-Problem festmachen. Unlängst wurde ein Interview mit dem Tübinger Philosophen Manfred Frank veröffentlicht, in dem die grundlegenden Schwierigkeiten in dieser Hinsicht wunderbar klar und deutlich werden: "Der Mensch bleibt sich ein Rätsel". Es ist ein Gespräch über den Streit zwischen Hirnforschung und Philosophie über die Freiheit (und das Selbst-Bewusstsein) des Menschen. Abgesehen davon, dass es in verständlichem Ton alle wichtigen Punkte anspricht, bringt Frank in einem Satz das Ausschlaggebende auf den Punkt: "Alles Wesentliche, das wir mit dem Gedanken der Menschheit verbinden, verknüpfen wir doch mit dem Gedanken der Subjektivität und nicht mit unserer Vorstellung vom Gehirn"(ebd. 53). Auch wenn Frank im Gegensatz zu den postmodernen, poststrukturalistischen Sichtweisen, denen ich anhänge, eine eher konservative Position zukommt, ist das Gespräch doch höchst lesenswert und ordnet die Problematik in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ein.
Sources
Rentsch, Thomas. Die Konstitution der Moralität – Transzendentale Anthropologie und praktische Philosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990.
Schnabel, Ulrich und Thomas Assheuer. "Der Mensch bleibt sich ein Rätsel". DIE ZEIT Nr. 36 vom 27. August 2009, 52-53.
September 01, 2009
Being Free – Being Dynamic
We are not alone in this world. Moreover, we cannot exist without intersubjectively communicating with other human beings (cf. “Images: Reflecting the Other” posted August 29, 2009). What can it mean to be free if we are never actually free of other human beings? I do not think that we should actually wish to be free of others. Without communicative cultural reality all that we call humanity or humaneness would not be possible. We might biologically exist without others, yet, our language, our modes of thought, our ethics, even our emotions would not be the same. Our whole perception and understanding of the world depends on our culturally learned appreciation of them (cf. e.g. Greiner, 2005; Wallner, 2002).
Freedom must then be limited with regard to romantic (or natural scientific) illusions we have. Yet, even using the term limitation can only make sense when these illusions are held upright to some extent. Let us dismiss them completely. We should accordingly no longer talk about a limitation but about a new conception. Freedom within an intersubjective framework can only be defined when the nature of intersubjective existence is clarified. I suppose that we exist in narrational contexts. Our relation to other human beings consists of telling stories to an audience and thus designing images in which we live – necessarily together with them.
Are we free to tell our personal story as we like it? Of course not. We are influenced by the narrative strategies we have been taught and the images that already exist interwoven with the space of existence that we claim at a certain moment of time in a certain culture. Additionally, the application of an egotistic narrational style would mean that we limited the narrative space of others, thereby foreclosing cross-fertilizing our own imagery. Moreover, the immoral impediment of others would in the end redound upon ourselves, as we can only prosper in truly inter-communicative environments.
Besides the intersubjective and sociohistoric setting framing our possibilities of story-telling we are influenced by the way others include us in their stories and by the motifs they develop. Yet, we can add our own perspective to the overall picture and hence have our personalities included in and dynamically enhanced by others’ stories and images. The more dynamically and openly we enter into the inter-communicative reality the greater our possibilities of advancement will become. A positive side-effect is that the larger the amount of stories we are involved in, the firmer our personality can be. It might be necessary to find the right balance between enough narrative involvement to be firmly backed up and too much narrative involvement in too many different kinds of stories – so that our personality’s outlines are blurred. Still, a personality is too intersubjective to be developed and sustained alone. Freedom thus means to be dynamically involved in inter-communicative reality.
Sources
Greiner, Kurt. Therapie der Wissenschaft – Eine Einführung in die Methodik des Konstruktiven Realismus. Culture an Knowledge 2. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2005.
Wallner, Fritz. Die Verwandlung der Wissenschaft – Vorlesungen zur Jahrtausendwende. Ed. Martin Jandl. Constructiviana – Interdisziplinäre und interkulturelle Wissenschaftstheorie 1. Hamburg: Dr. Kovac, 2002.
August 31, 2009
Die vergessenen Menschen
Wie wollen wir jemals in einer toleranten Gesellschaft leben, wenn wir von Geburt an Menschen aussortieren? Behinderte Kinder, Erwachsene und ältere Menschen werden in speziellen Einrichtungen gepflegt und aufbewahrt, damit sie das angenehme Gesamtbild nicht stören. Die Lage von Kindern mit besonderem Förderbedarf in Deutschland wird von Martin Spiewak im Artikel "Ausgesondert: Die meisten Kinder mit Behinderungen gehören in normale Schulen. Nur Deutschland hat das noch nicht verstanden" in DIE ZEIT Nr. 36 vom 27. August 2009 dargestellt. Er spricht die wenigen löblichen Ausnahmen an und vergleicht Deutschland mit anderen Ländern sowie mit den Anforderungen der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die seit März 2009 auch hierzulande gilt.
Liegt dieser Gesellschaftsorganisation der Wunsch nach angemessener Behandlung zugrunde oder eher eine typisch menschliche Neigung zur Verdrängung? Warum sich mit dem Besonderen bzw. mit dem Nicht-Norm-Konformen auseinandersetzen, wenn man dies doch auch einfach aussondern kann? Individuelle Strategien, derartigen Ausgrenzungen entgegenzutreten, scheinen nicht viel bewirken zu können. Und doch kann man sich auch als Einzelner mit dem älteren Nachbarn oder der behinderten Mitschülerin des eigenen Kindes auseinandersetzen. Man könnte das in der Wohngegend ansässige Pflegeheim zumindest einmal besuchen oder sich beim Verkehrsverbund über fehlende behindertengerechte Aufzüge an nach wie vor viel zu vielen Bahnhöfen beschweren.
Obwohl institutionalisierte Abtrennung bestimmter Gruppen von der normalen Gesellschaft nicht auf privater Ebene rückgängig gemacht werden kann, ist individuelles Engagement durchaus fähig, Kanten zu glätten. Selbstverständlich muss das größere Ziel eine Veränderung der Institutionen sein. Die UN-Konvention ist hoffentlich ein Schritt in diese Richtung. Aber bis die großen Weichen sich auf dieses neue Ziel eingestellt haben, können viele kleine Schritte von einzelnen Menschen gemacht werden. Vielleicht sind es sogar die zwischenmenschlichen Kontaktaufnahmen, die das tatsächliche Zusammenleben am Ende stärker bestimmen als die institutionellen Veränderungen.
August 29, 2009
Images: Reflecting the Other
In current neurobiology it is not the idea of a Darwinian survival of the fittest any longer but the concept of man as a cooperative creature that defines the picture (cf. Bauer, 2006). It seems inappropriate to understand this research as a revelation of truth in a traditional philosophical sense. As the humanities have highlighted the human interdependency, interrelatedness, and intersubjectivity for decades it seems adequate to range today’s biology within a broader understanding of the development of the Western cultural space, answering already existing manners of thinking about human nature.
Such a cultural understanding of discourses of knowledge production within society, taking the natural scientific discourse as just one among others, does not necessarily subvert its explanatory power. Yet, concepts of reality must thus be seen in a broader context. The relatively new concept of the mirror neuron system (cf. e.g. Bauer, 2007 39, 128-134) reflecting not only the other person’s action in an individual’s brain but also the other’s image of oneself and thereby opening a corridor of possible development mirrors already existing ideas of intersubjectivity.
Such an idea strikes me to center on the fact that human beings live of and within images they have of themselves and others. While these images influence each person’s development she also influences the images existing in her cultural environment. An active interplay (as it is devised by numerous tendencies in the postmodern humanities) ensues between possibilities, modes of action, corridors of development, interests, and personal identities.
I believe that no one can seriously imagine a child developing a personality without having been introduced to this cultural intersubjective space. I also believe that children – having not developed a clear personality yet – need the images projected for them by others to come to an identity. Being much more involved and interfused in intersubjective culture, adults have already developed decisive interests that can be considered by others. To develop such interests, which translate into personal images of oneself, it is necessary to have been confronted with others’ images of a self and even of oneself.
To distance themselves from possible and accepted personal identity options children need to identify themselves with any option first. To learn to handle the intersubjective cultural game from a suitable position it is necessary to really incorporate a position first. Therefore, it is absolutely contrary to the goal of autonomy (meant in the intersubjective sense) not to mirror a strong idea of one’s children’s personality for them in the beginning of their education.
But where is the line that must be respected to give another human being personal space? When is the moment reached at which a young person’s own wishes should be respected? Obviously, it cannot be a question to let (also very young) children occupy themselves with what interests them at a particular stage of development. I do not wish to argue for total parental interference. But the possibilities parents (or educational personnel) offer should be well thought through. The frame must be set firmly up to a certain point. When is this point reached?
I actually have no definite answer to this question. Surely, such a borderline must be thought of as gradual and not as static. It seems as though very firm images of one’s own future must always lead to a functionalization of all the others who are necessarily part of the picture. Obviously, the same holds true for very firm images of one’s children’s future. Maybe the answer must be functional: we must engage in an ongoing assurance of the other’s personality within our own image. Any image we have of our (and our children’s) future should thus rest dynamic and should be focused on the other persons in our lives and not on our individual achievements. The focus should especially be on human versus material growth.
We need clear images of the future to give our lives a sense. Without a goal there cannot be any motivation. Even though owning a house or being a writer can be valid personal goals, helping us to move onward, their fulfillment cannot be pursued at all costs. When other affected persons (and due to our intersubjective nature our actions always affect others) are less carefully considered than the overall image we strive to achieve we destroy all hope of contentment. In the end it is not the image that makes live worthwhile but our balanced personal identity. This is only possible by an equilibrium between ourselves and others. Such balance can surely not be found by blindly following a personal image without being considerate of the other persons involved.
Sources
Bauer, Joachim. Lob der Schule – Sieben Perspektiven für Schüler, Lehrer und Eltern. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2007.
---. Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren. Hamburg: Hoffmann und Campe, 2006.
August 23, 2009
TAGTRAUM
Sie spricht.
Der Klang ihrer Stimme erinnert mich an Murmeln, die aus einem Glas rollen.
Bunte Murmeln...
Gelbe und rote, blaue und grüne.
Grün und blau wie das Meer.
Das Meer...
Wellen, die von der aufgewühlten See an die Klippen geschleudert werden.
Die weiße Gischt spritzt bis in den Himmel, wo sich graue Wolkenberge türmen.
Der Wind peitscht heulend den Ozean.
Da – ein Sonnenstrahl hat sich durch die Wolken gekämpft und spiegelt sich einen
Moment lang auf dem Wasser. Er taucht die Oberfläche für ein paar Sekunden in
goldenes Licht.
Schon ist das Glitzern wieder dem unendlichen dunklen Grün gewichen.
Grün wie ihre Augen...
Was hat sie eigentlich gesagt?
August 07, 2009
Variation in Lingua
Hat man einmal längere Zeit in verschiedenen Teilen des Landes gelebt, hat man sie am eigenen Leib, um nicht zu sagen am eigenen Ohr, erfahren. Neigt man zur Nachahmung lautmalerischer Gewohnheiten, ist einem etwas davon sogar auf der Zunge zergangen. Die Rede ist selbstverständlich von den Variationen der deutschen Sprache.
Eigenen Leibesvisitationen unterzogen haben mich die Varianten um Heidelberg und Hamburg. Ursprünglich eher aus dem nördlichen Teil des Landes stammend ist mir die nordische ‚Inlauterweichung‘ („Mid-den Leuden auf der Pahdy konnde man gut schnaggen“) irgendwie sympathischer als die süddeutsche ‚Sprachverwalsung‘ („Wir sinna als so rumgestand’n“).
August 04, 2009
August 03, 2009
"The Most Important Maxim of Good Prose"
"Omit needless words."
Source
Pinker, S. The Language Instinct: The New Science of Language and Mind. London et al.: Allen Lane/Penguin, 1994 390.
August 01, 2009
Wie wichtig ist Spielen?
Tanja Stelzer spricht in ihrem gut recherchierten Artikel „Ich will doch nur spielen“ im Zeitmagazin 32/2009: 10-14 wichtige Aspekte des Umgangs unserer Gesellschaft mit den (vermeintlichen) Defiziten von Kindern an. Es geht um die ewige Über-Förderung und den Terminstress, dem die Kinder teilweise schon im Grundschulalter ausgesetzt werden. Schön hinterfragt von Stelzer: Liegt dies evtl. daran, dass die Eltern keine Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen? Werden sie deswegen von Termin zu Termin gehetzt? Ebenfalls informativ sind die von ihr zusammengetragenen Studien, die besagen, dass statistisch gesehen besonders intelligente Eltern nur weniger intelligente Kinder (und umgekehrt) zu erwarten haben. Daraus kann natürlich eine zu hohe Erwartung resultieren.
„Wie oft sehen wir unsere Kinder an und halten das, was wir sehen, für ein Spiegelbild unserer selbst? Wie oft denken wir den Satz: ‚Warum macht er das jetzt nicht? Ich hab das doch in dem Alter schon lange gekonnt!’ Wir müssen lernen, dass Kinder nicht Abziehbilder von uns selbst sind, nicht die Leinwand für unsere Projektionen. Sie gehören uns nicht – wir müssen sie verteidigen gegen das Räderwerk, in dem wir selbst stecken“ (Stelzer, 2009 14).
Selbstverständlich wäre viel gewonnen, wenn die Sorge der Eltern nicht in Hysterie ausarten und jede kleine Auffälligkeit, die früher als völlig normal galt, zum Therapeuten gezerrt würde. Auch glaube ich, dass eine individuellere Bestimmung des Einschulungsalters die Verhältnisse verbessern könnte. Wie in dem Artikel gut aufgezeigt, ist das Entwicklungsspektrum von Kindern relativ zu ihrem Alter nun einmal sehr groß. Wenn noch nicht weit entwickelte Kinder in den Druck geraten, genauso gut sein zu müssen wie ihre Klassenkameraden, kann dies nicht gut für ihre Entwicklung sein. Auch die oft diskutierten Zusammenhänge zwischen geistiger und körperlicher Entwicklung, die von Stelzer gestreift werden, sind wichtig.
Ich weiß allerdings nicht, ob mehr Spielen und weniger Druck als Empfehlungsansatz ausreichen. Auch die aufgezeigten Zusammenhänge scheinen mir zu kurz gegriffen. Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt, geht tiefer: Woher kommt die Orientierungslosigkeit der Eltern, die sie nötigt, ihr Kind von Förderungsmaßnahme zu Förderungsmaßnahme zu schleifen und ihnen auch noch den kleinsten Konflikt abzunehmen? Ginge es ihnen tatsächlich nur um das Wohl der Kinder – da stimme ich mit Stelzer überein – würden sie höchstwahrscheinlich öfter zu Kinderpsychotherapeuten gehen, die immer auch die Eltern begutachten.
Es ist nicht damit getan, darauf hinzuweisen, dass Eltern ihre Kinder einfach nur abschieben wollen. Dies wäre schließlich auch mit einer Spielekonsole getan. So schwierig sich dies für Großstädter manchmal gestaltet, auch die Kinder allein zum Spielplatz o.ä. gehen zu lassen, wäre eine Möglichkeit. Zudem könnte man sie auch einfach in ihr Zimmer schicken. Das Verhältnis ist offensichtlich komplexer. Es scheint mir eher eine Verunsicherung darüber zu bestehen, was es heißt, gute Eltern zu sein. Läge die Angst hier, würde das Ausweichen vor familientherapeutischen Maßnahmen zugunsten von Therapien, die nur die Kinder betreffen, sich ebenfalls erklären: Die eigene Unsicherheit wird auf das Kind projiziert, ohne dass die Eltern sich den eigenen Ängsten stellen wollen.
Es fehlen eindeutige und gesamtgesellschaftlich akzeptierte Maßstäbe, an denen man sich orientieren kann. Jeder erzieht auf eine andere Art und Weise und eine echte Instanz, die darüber richtet, welche Maßnahmen gut sind, fehlt. Natürlich spielen bei der übertriebenen Sorge auch die eigene Bildung und die immer häufiger auftretende Situation des Einzelkindes eine Rolle. Entwicklungspsychologen betonen die Bedeutung des Kontaktes zu Gleichaltrigen. Fällt dieser am Anfang der Kindheit weg (auch, weil Mütter sofort beim kleinsten Konflikt auf dem Spielplatz einschreiten) kann daraus nur Unsicherheit auf Seiten der Kinder resultieren, wie sie mit ihren Mitmenschen umzugehen haben.
Dennoch glaube ich, dass das Vorbild der verunsicherten Eltern die größere Verunsicherung beim Kind hervorruft. Wenn man ihm keine klaren Maßstäbe vermittelt, woher soll es dann ein Gefühl dafür bekommen, welche Aktivitäten Priorität haben? Ein Kind damit zu konfrontieren, dass es alles lernen soll, schreckt nicht nur ab, sondern stresst zudem.
Was ist also das Rezept, um sich dem Konflikt zwischen dem zu viel und dem zu wenig für sein Kind tun zu entziehen? Ich glaube, es reicht nicht aus, für mehr Spielen und weniger Termine (respektive Therapien) zu plädieren. Es ist viel wichtiger, klare Maßstäbe zu setzen, an denen sich das Kind orientieren kann. Dazu muss man dem Kind als souveränes Vorbild erscheinen, das in der Hektik des Alltags eben selbst klare Prioritäten setzt. Um auch noch die emotionale Seite des Kindes anzusprechen, sollte die Priorität auf der Familie liegen und damit auch darauf, Zeit miteinander zu verbringen. Darüber hinaus kann man das Kind auch einfach fragen, was es möchte, ob es sich in der Klasse zu gestresst fühlt etc. Selbstständigkeit liegt schließlich auch darin, zu versuchen, die Umstände zu beherrschen und sich nicht von ihnen beherrschen zu lassen.
Juli 24, 2009
To Be Wet or Not to Be – What is the Question?
Ich musste feststellen, dass auch ich noch denke wie vor 10.000 Jahren – zumindest, was den Wasserkonsum angeht. Ich dachte irgendwie schon, dass es wenigstens zum Teil darauf ankommt, wie lange ich dusche… wahrscheinlich ist das den meisten aufgeweckten Weltbürgern längst klar, aber ich fand den Artikel „Unser täglich Wasser“ von Frank Drieschner zu diesem Thema sehr informativ (DIE ZEIT, 16.07.2009 Nr. 30).
Dazu gehört meiner Meinung nach eben noch das Interview mit Anthony Allan von Christiane Grefe aus der gleichen Ausgabe: „Wir denken wie vor 10.000 Jahren“.
Wer Interesse hat, mehr darüber zu erfahren, wie wir mit virtuellem Wasser der Knappheit entgegenwirken könnten und wie die Probleme genau liegen, dem seien diese beiden Beiträge empfohlen.
Als spannend und Hoffnung auf ethischer Ebene machend habe ich vor allem die Randbemerkung dazu empfunden, dass Wasserbeziehungen zwischen Staaten auch in Kriegszeiten kaum gestört werden.
Juli 20, 2009
Realism, Relativism, and The Cosmos of Our Words
Realist strategies are en vogue again in the Western World at the end of the twentieth and the beginning of the twenty-first centuries (cf. Carrol, 1996). At the same time we are witnessing a revival of moral topics through public and political discourse, and an intensified interest in ethics in general. These two developments are not only closely linked to each other, but are determined by each other. The prevalence of realistic tendencies is caused by moral disorientation. Moreover, this moral disorientation is brought about by the relativistic postmodern tendencies that have dominated the first half of the twentieth century and are still widespread in the humanities and social sciences. In a culture poetical perspective it is furthermore significant that although in theory postmodern and realistic viewpoints are still more or less strongly opposed, in the literary practice realistic narrative strategies have almost completely replaced postmodernistic literature.
Critics even speak of a “moral turn of postmodernism” (Hoffmann/Hornung, 1996 v). Ethics seems to be the culmination point of the conflict of relativistic and realistic concepts of reality. Moreover, this conflict, which I’d like to describe as the most important conflict of late postmodernity, seems to have been solved in literature. New realistic narratives, such as Jeffrey Eugenides novels, use realist narrative strategies while they deal with truly postmodern questions (e.g. the acceptance of a hermaphrodite in Middlesex, Eugenides, 2003). Can the conflict between postmodern relativism and realism be enlightened by a comparison to literature? Is not literature truly reflecting human life and must therefore reflect all its elements? Will philosophy resolve around cultural and literary studies in the future, as Richard Rorty has suggested (cf. Rorty, 2008)?
“Heutzutage ist alles post, als wären wir nicht viel mehr als eine Fußnote zu etwas Früherem, das real genug war, um einen Namen zu haben“ (Atwood, 1992 108). But is not all human conversation a quote of a quote of a quote of a language that was always already there before the speaker opened her mouth? It seems as though the interdependency of all elements and subjects of discourse has simply never been realized as clearly as it is today. Therefore, a tendency to see developments as closely linked to their environment and hence the curious post-ing of everything is en vogue, too. Instead of refering to a supposedly earlier state of wholeness, which has never really existed, it would be more adequate to embrace this more realistic wholeness, which is none in the traditional sense. Yet, it is the only humanly possible wholeness.
This is unfortunately not what has happened so far. Appeals to the lost universality through the plurality roused by the new postmodern perspective have been made without end (cf. e.g. Mersch, n.d.). Even the postmodernists themselves have argued for plurality as the new paradigm. Yet, without the specter of tradional objectivity looming over our cognition we can understand that the only measure lies in the actual way reality is constructed, which is through communication. And in this communication ethical standards are conveyed. Denying the fact that human reality has a moral level seems nothing less than absurd in the face of the recent revival of ethics. Consequently, a true combination of traditional realism’s universalism and postmodernism’s inter-relatedness is needed. This combination is elegantly produced through heterodiegetic narrative, which provides an individual narrator giving her perspective as a standard and at the same time revealing her intersubjectivity through the in-text relations. It is always an in-text world human beings live in, as they enter a pre-set cosmos of language and communicative behavior.
Nevertheless, in these presettings lies the ethical part of human nature, which provides the background for all perception and cognition. How else could it be possible that human beings have moral feelings at all? If there weren’t a moral level to the way we are made, it could simply not show itself in the way we live together. And even if we might not be the objective scientific narrator of traditional realism observing everything from above, we might still be able to develop the sensibility to see through our own words. Because the communicative cosmos is indeed already there before we enter it, but if we all left, it would seize to exist. It is therefore literally the cosmos of our words.
Sources
Atwood, Margaret. Katzenauge (transl. Charlotte Frauke). Frankfurt a.M.: Fischer, 1992.
Carrol, Noel. “Moral Realism in the Age of Postmodernism.” Ethics and Aesthetics – The Moral Turn of Postmodernism. Ed. Gerhard Hoffmann and Alfred Hornung. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1996, 87-96.
Dahlern, Nina von. “Judith Butler und die Möglichkeiten des ethischen Handelns – eine Einordnung der Probleme der Motivation und der Urteilskraft.” Ordnungen des Denkens – Debatten um Wissenschaftstheorie und Erkenntniskritik. Verhandlungen mit der Gegenwart 2. Ed. Ronald Langner et al. Berlin: LIT, 2007.
Eugenides, Jeffrey. Middlesex. London: Bloomsbury Publishing, 2003.
Hoffmann, Gerhard and Alfred Hornung, eds. Ethics and Aesthetics – The Moral Turn of Postmodernism. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 1996.
Mersch, Dieter. “Dekonstruktion der Dekonstruktion.” Deutsche Gesellschaft für Semiotik (n.d.) http://www.semiotik.eu/index.php?id=329,23&PHPSESSID=66ei1p6v7kofp28ci8dcpi6d634dpfak (20.05.2009).
Rorty, Richard. Philosophie als Kulturpolitik (transl. Joachim Schulte). Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2008.
Juli 18, 2009
Wirtschaftskrise oder Systemkrise?
Es ist schade, dass in diesen schwierigen Zeiten so viel von der aktuellen Krise und so wenig von strukturellen Ursachen gesprochen wird. Im politischen Dialog fällt die Abwesenheit von echten Alternativen auf. Hat eine Partei eine echte Vision davon, wie Deutschland, geschweige denn die Welt, in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll? Man bekommt das Gefühl, es gehe immer nur um kurzfristige Abhilfe, ohne dass dabei weiter in die Zukunft geschaut wird. Diese Situation könnte man fast schon als unheimlich bezeichnen. Daher möchte ich hier zwei Beiträge empfehlen, die mir zum Thema Zukunftsvision gefallen haben:
1) Der Artikel „Wir könnten auch anders“ von Wolfgang Uchatius aus DIE ZEIT, 20.05.2009 Nr. 22.
Uchatius diskutiert das aktuelle System ausführlich und übersichtlich und stellt genaue Überlegungen zu bestehenden Abweichungen und möglichen Alternativen an.
2) Der „Film zur Jahrhundertchance“ vom Global Change 2009 e.V.
Auch wenn er etwas plakativ und sehr idealistisch ist, werden doch wichtige Fragen gestellt und ein anschaulicher Überblick über die Zusammenhänge der Marktwirtschaft gegeben. Allerdings dauert der Beitrag ca. 30 Minuten.
(Vielen Dank an Lena für diesen Hinweis!)
Unterhaltsam
Sehr amüsant und zugleich kritisch ist der erste Gewinner des Kurzfilm-Drehbuchwettbewerbes zum Thema Klimagerechtigkeit von Germanwatch: Die Rechnung.
(Vielen Dank an Auchnina für diese Anregung!)
Einfach nur witzig finde ich diesen, zugegebenermaßen schon etwas älteren, Song von Barbara Schöneberger: Männer muss man loben.
Juli 17, 2009
Is Invention Connected To Youth?
I have stumbled across two quotes that both seem to convey a deeply accessible truth. When I was reading each it immediately hit me that the respectable authors had managed to grasp characterstics of mankind. Only while rereading one of them recently I suddenly realized that they were not compatible. One comments on the inadequacy of young people’s self-consciousness, while the other emphasizes the human tendency to become less and less open to innovative inventions when growing older. How can it be that both seem so convincing in their own right?
“Young people are so infernally convinced that they are absolutely right about everything. [...N]o, like all young people, you are quite sure that you alone feel and think, you alone recognize danger” (J.K. Rowling, 2003 438).
“I’ve come up with a set of rules that describe our reactions to technologies:
1) Anything that is in the world when you’re born is normal and ordinary and is just an ordinary part of the way the world works.
2) Anything that’s invented between when you’re fifteen and thirty-five is new and exciting and revolutionary and you can probably get a career in it.
3) Anything invented after you’re thirty-five is against the natural order of things” (Adams, 2002 95).
It seems certainly true that with advancing age the human ability to cope with alien circumstances and technologies abates. Yet, it is not incorrect that young people, especially teenagers, tend to be so preoccupied with themselves that they do not openly see their environment. Moreover, as far as I know, all famous inventions and discoveries have been made by people under the age of thirty-five.
Is it a curious intermediate age in which human beings possess the faculties of unbiased perception as well as unbiased reflection? Can human perception ever be unbiased? Or are we talking about the moment after someone has more or less received and processed all her community’s vital cultural facts and before she totally conforms to them? Will individuals ever absolutely conform to their communities?
It seems as though there is a connection between the advancing adaption to a certain community or society and the ability to add a new creation to it. On the one hand, members have to be acclimatized enough to be able to produce inventions (they need sufficient command over the tools). This refers to the habituation with the respective cultural concepts as well as to the fact that innovation might not be accepted or even perceived as such by the community when it does not conform to conventions to a decisive extent. On the other hand, one apparently gets too used to one’s cultural concepts to want to change or decisively alter them after some time.
The abatement of the desire to seriously change the existing culture might also be linked to a certain modesty or wisdom of age. The older a person gets, the more she might be able to understand that cultural concepts cannot easily be changed in their core. Whatever innovations might be added to the existing conventions, the lasting effect on the foundations of a society is usually rather small. Therefore, a true inventor needs the youthfull over-estimation of herself to be able to develop the necessary motivation to see the often tedious process of creating something new out.
Sources
Adams, Douglas. The Salmon of Doubt – Hitchhiking the Galaxy One Last Time. Ney York: Ballantine, 2002.
Rowling, J.K. Harry Potter and the Order of the Phoenix. London: Bloomsbury, 2003.
Juli 16, 2009
Juli 15, 2009
Ethics Can Only be Described by Moral Understanding
A still effective argument against a biological understanding of ethics has been made by Thomas Nagel (cf. Nagel, 2008 201-206). From a point of view that holds on to the evaluative aspect of moral behavior, biology – in whichever form – must lead to a defective understanding of reality. By describing ethical action as any other socially observable behavior ethics must be tied to a biological sense. If this were the case, there could be no way to tell in which way any action was morally good or bad (or was even simply moral), but there could be only explanations whether the actions conformed to the biological sense or not. The evaluative level would be irretrievably destroyed. Human action would then have to be understood as a method of decision rather than a critical conscious process (cf. ibid. 201). Even though (regardless of the fact that biology is just one more product of the human mind) the origins of the world of meaning created and inhabited by human beings may lie in biological processes and though the satisfaction of elementary needs (such as food) is necessary to be in this human world, the actual being part of this world, acting, thinking, arguing, and so forth in it are no longer part of the biological sense that might underlie human existance (cf. ibid. 206).
From another argument Nagel made against the reductionist tendencies in psychological explanations of consciousness one could deduce the following statement: All biological approaches to ethics are compatible with the total lack of the ethical level of meaning in human behavior (cf. ibid. 230,f). With regard to them, the special sort of evaluation, which differentiates the judgment on bad piano playing from the judgment on a bad moral action, does not exist. Yet, it nevertheless exists in human reality and communication. The mere existance and resonance of disciplinary fields such as peace education show, that there is a human concern with the question of “what human society should be” (Page, 2008 12). It is an ethical question that has accompanied mankind throughout the centuries – the Golden Rule (today usually associated with the Gospel according to Matthew) as one of the oldest moral rules (in the systematized form of a rule) for example has a history that dates back approximately five thousand years (cf. Rentsch, 1990 259).
The humane treatment of others rests on other criteria than biological ones (cf. also ibid. 255). Therefore, a theory trying to describe the way ethics functions must distance itself from natural scientific explanations. Fritz Wallner’s constructivist definition of natural sciences points out the same factors.
„[D]ie Naturwissenschaften [stellen] zumindest den Anspruch …, den Menschen wegdenken zu können, die Welt in einer sozusagen unversehrten Weise zu haben. Das ist eine negative Konsequenz aus der Voraussetzung der menschlichen Freiheit. Die menschliche Freiheit, also die individuelle Freiheit, hat zur Folge, dass sich prinzipiell jeder von uns eine gewisse Eigenwelt schaffen kann. Wenn man nun alle Eigenwelten subtrahiert, so gelangt man nach dieser Ideologie zu einer besonders sicheren Erkenntnis der Welt. Der Anspruch der Gewissheit ersetzt den der Wahrheit. […] Wahrheit ist immer etwas, was in Relation steht. Gewissheit ist etwas, das ohne Relation auskommt. Beides ist im Extremfall unmöglich. […] Wenn ich den Beobachter-Standpunkt entferne und durch eine technische Vorrichtung ersetze, die selbst die Natur ersetzt, so habe ich in einem bestimmten Sinn Gewissheit erreicht. Gewissheit in diesem extremen Sinn bedeutet nicht zu beschreiben, sondern zu ersetzen. Gewissheit ist ein Prädikat einer technischen, keiner wissenschaftlichen Haltung“ (Wallner, 2002 238).
The world does not exist without mediation by human beings – that is, the world which is inhabited by human beings. The postmodern critique has shown that there is no possible access to any other world for human beings. Therefore, the truth that lies in human mediation cannot be found in a concept of reality that tries to factor out human communication or evaluation. When ethics is supposed to be described without missing its evaluative nature, the theory developed to describe it has to comprehend moral elements.
Sources
Nagel, Thomas. Letzte Fragen – Mortal Questions (ed. Michael Gebauer). Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 2008.
Page, James. Peace Education – Exploring Ethical and Philosophical Foundations. Charlotte NC: Information Age, 2008.
Rentsch, Thomas. Die Konstitution der Moralität – Transzendentale Anthropologie und praktische Philosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990.
Wallner, Fritz. Die Verwandlung der Wissenschaft – Vorlesungen zur Jahrtausendwende (ed. Martin Jandl). Constructiviana – Interdisziplinäre und interkulturelle Wissenschaftstheorie 1. Hamburg: Dr. Kovac, 2002.
Juli 13, 2009
Philosophieren heißt die Augen öffnen
René Descartes schrieb einmal, wenn man zu leben versuche, ohne zu philosophieren, wäre das wie seine Augen geschlossen zu halten, ohne daran zu denken, sie zu öffnen.
Das Wort Philosophie kommt vom griechischen phílos (Freund) und sophía (Weisheit). Es geht um die Liebe zur Weisheit, das Streben nach Wissen. Wer lebt ohne wissen zu wollen warum er lebt und wie er leben sollte, ohne wissen zu wollen was gut und was schlecht ist, der schließt seine Augen vor allem, das seinem Leben einen tieferen Sinn geben könnte. Ein sinnloses Leben aber ist es nicht wert, gelebt zu werden.
Friedrich Nietzsche drückt dies etwas eleganter aus: „Wenn wir ein ‚warum‘ für das Leben haben, können wir nahezu jedes ‚wie‘ ertragen“. Um mit Voltaire zu sprechen: „Die Philosophie ist zu etwas gut: sie tröstet“, sie „bewirkt die Ruhe der Seele“.
Juli 12, 2009
Ein Sinn für die Realität kann politisches Engagement nicht ersetzen. Eine Replik auf Jan Martin Wiardas „Reine Realos“ in DIE ZEIT Nr.11 2009
Die Debatte um das fehlende politische Engagement der Studenten, ja deren Desinteresse an Politik, schlägt hohe Wellen. Bevor man in Anklage oder Verteidigung der Nachwuchsakademiker ausbricht, sollte man allerdings einen Moment innehalten, um zu fragen, worum sich diese Diskussion eigentlich dreht. Hinter den Vorwürfen, die seitens älterer Generationen geäußert werden, scheint sich eine Anspruchshaltung zu verbergen. Aufgrund bereits abgeleisteter politischer Revolution möchten die heute nicht mehr Studierenden offensichtlich alle politische Verantwortung auf den noch Studierenden abladen und prangern diese für mangelndes Verantwortungsgefühl an. Daraus ergeben sich einerseits die Frage nach der Berechtigung derartiger Ansprüche und andererseits die Frage, ob die Jüngeren tatsächlich so apolitisch eingestellt sind. Wiarda bescheinigt den Studenten von heute beispielsweise keinesfalls fehlendes politisches Interesse, sondern im Gegenteil einen ausgeprägten Sinn für die Realität. Doch was soll das bedeuten?
Die positive Einstellung zum Wettbewerb in den Märkten, die ausgeprägte Leidensbereitschaft der Generation Praktikum und der fehlende Enthusiasmus für politische Parteien deutet darauf hin, dass die jungen Akademiker sich an einem Weltbild orientieren, das dem des politischen Realismus tatsächlich sehr nahe kommt. Die Begründer dieser Einstellung, die von einem natürlichen Egoismus des Menschen ausgingen und annahmen, dass jeder seinem Nächsten ein Raubtier sei, waren jedoch an Veränderung nicht desinteressiert. Im Gegenteil plädierten sie für starke politische und gesellschaftliche Regelungen, die den Menschen davon abhalten sollten, seine Nachbarn zu zerfleischen. Eine politisch-realistische Einstellung kann also nicht als Entschuldigung herhalten, dass die nächste Generation der Studierenden die Verhältnisse so akzeptiert wie sie sind, sich selbst die nächste ist und Erfüllung oder Ideale nur noch im Privatleben oder in zeitlich begrenzten ehrenamtlichen Projekten sucht. Diese Abwendung vom Engagement für die Gesellschaft als Ganzes kann man durch ein grundsätzlich negatives Menschenbild erklären und als Abwendung vom politischen Engagement bezeichnen. Denn dieses ist grundsätzlich ein öffentliches, das auf die Beantwortung der Frage „In welcher Welt wollen wir leben?“ abzielt und nicht etwa eine Lösung für die Frage „Wie kann ich mich in dieser Welt am besten einrichten?“ sucht.
Die Jugend ist seit langem nicht nur Symbolträger für irgendein Engagement in der Gesellschaft, sondern für eine kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen. Gerade in der derzeitig so schwierigen wirtschaftlichen Lage, so könnte man meinen, müssten sich doch die heranwachsenden Akademiker auflehnen, die im Elfenbeinturm viel Zeit zum Debattieren haben, und noch nicht so fest im System verwurzelt sind. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die bereits in dieser Welt Etablierten von den nachfolgenden Generationen automatisch ein – kritisches – politisches Engagement erwarten dürfen. Gerade weil die Nachwuchsakademiker heute die Angst vor dem sozialen Abstieg am eigenen Leib erfahren, so könnte man argumentieren, haben sie das Recht, vor allem an die eigene Haut zu denken. Besonders, weil auch der vermeintlich freie Elfenbeinturm mehr und mehr zu einem Laufrad der Leistungsgesellschaft wird. Der aktuelle Konflikt, der unterschwellig in der Debatte um das politische Desinteresse der Studenten ausgetragen wird, scheint also in einer falschen Erwartungshaltung begründet zu sein.
Die älteren Generationen, die sich in der Erinnerung an ein (vermeintlich) besonders ausgeprägtes politisches Engagement ihrer eigenen Studentenzeit erinnern, lehnen sich entspannt in dem Bewusstsein zurück, ihren Beitrag bereits geleistet zu haben. Nun ist die kommende Generation an der Reihe und wenn sie diesen Auftrag nicht erfüllen möchte, dann muss sie dafür öffentlich an den (Medien-)Pranger gestellt werden. Und zwar so lange, bis sie sich bequemt, ihre demokratische Pflicht zu übernehmen. Wer sich standhaft weigert, wird als egoistischer Systemsklave denunziert. Dabei ist es sicherlich richtig, dass eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse nur durch das Mitwirken der geistigen Eliten bzw. des Mittelstandes erreicht werden kann. Wenn sich alle an das klammern, was sie zusammengerafft haben oder noch zusammenraffen können, werden die bestehenden Verhältnisse damit nur untermauert. Ein alleiniges Engagement derjenigen, die bereits auf die unteren sozialen Plätze abgerutscht sind, wird zudem im politischen Raum nicht die gewünschte Kraft entfalten können.
Aber sind deswegen die jungen Eliten besonders gefordert? Wer sagt denn, dass sich ausgerechnet die Studenten engagieren müssen, die heute eben nicht mehr in dem beruhigenden Wissen demonstrieren können, dass nach dem Studium eine gemütliche Festanstellung auf sie wartet? Die Antwort darauf lautet: Dies sagen genau diejenigen, die sich heute im bestehenden System einigermaßen bequem eingerichtet haben und meinen, sie seien durch ihre (vermeintlich) glorreiche Jugend von jeglicher politischer Pflicht befreit. So wird der schwarze Peter des politischen Desinteresses von einem Lager ins andere geschoben, obwohl beide Lager sich dadurch auszeichnen, dass sie zunächst an die eigene Haut denken. Realpolitisch zu konstatieren, dass dies ein natürlicher Zustand sei, ist nicht genug (ganz abgehen von der Frage, ob diese Einschätzung zutreffend ist). Wenn die Generationen weiterhin gemeinsam in einer Gesellschaft agieren wollen, die allen (Über-)Lebensraum bietet, müssen sie sich an die eigene Nase fassen und über Regeln nachdenken, die Menschen davon abhalten, in derartigen Egoismus zu verfallen. Demokratie ist ein dynamischer Prozess, bei dem alle Bürger lebenslang gefordert sind. Die jungen in genau dem gleichen Maße wie die alten. Ob ein gelegentliches ehrenamtliches Projekt die Welt tatsächlich zu einem lebenswerteren Ort macht, sei dahingestellt. Fest steht, dass die durchschnittliche Lebensqualität definitiv gesteigert werden könnte, wenn die gegnerischen Lager die Energie, die sie momentan auf die eigene Verteidigung und das Anschwärzen des jeweils anderen verwenden, in die Gemeinschaft investieren würden – in welcher Form auch immer.
Auch die Neurologie entdeckt die Freuden der Dekonstruktion. Einige Gedanken zum Feuilleton-Artikel „Ich war es nicht!“ in DIE ZEIT Nr.42 2007
Bei der Lektüre des Artikels „Ich war es nicht!“ in DIE ZEIT Nr.42 2007 kommt der soziologisch gebildete Leser nicht umhin, ein Defizit zu bemerken. Der Autor Thomas Assheuer schreibt über die von der Hirnforschung aufgestellte Theorie, dass es weder persönliche Schuld noch Freiheit gibt. Er stellt dazu eingangs die Frage, wie es kommt, dass die Gesellschaft sich jubelnd an diesem Konzept berauscht. Seine Erarbeitung des Problems ist in sich stimmig und intelligent, lässt jedoch einen Aspekt völlig außen vor: Die Tatsache nämlich, dass genau die gleichen Ideen bereits seit den 70er Jahren von Dekonstruktivisten wie Michel Foucault vertreten werden. Es geht also nicht, wie der Autor mit einem Schwenk auf die Wissenschaftsgeschichte erklärt, um „eine neue Runde“ in einem alten Streit zwischen den Deterministen und den Verfechtern des selbstständig handelnden Menschen. Die Runde, in der das Subjekt mit seiner Autonomie, seiner persönlichen Verantwortung und seinem freien Willen zerlegt beziehungsweise dekonstruiert wird, hat schon längst begonnen. Ob diese neue Runde – wie oft argumentiert – bereits durch die Theorien des Sprachwissenschafters Ferdinand de Saussure eingeläutet wurde oder nicht und ob sich ein genauer Zeitpunkt dafür überhaupt bestimmen lässt, sei dahin gestellt. Um ein wirkliches Verständnis der gegenwärtigen Situation herbeizuführen, sollte man sich allerdings die anderen Kämpfer, die aktuell im Ring stehen, genauer ansehen. Besonders auffällig ist dabei, dass die Dekonstruktion der oben genannten Fähigkeiten zunächst nicht so begeistert von der Gesellschaft aufgenommen wurde.
So schreibt etwa die amerikanische Soziologin und Philosophin Judith Butler in Anlehnung an Foucault bereits seit über einem Jahrzehnt (unter anderem) über die Auflösung des Individuums. Dabei geht die kritische Spannung zwischen Kultur und Gesellschaft, von der Assheuer spricht, genauso verloren, wie durch die konsequent zu Ende gedachten Theorien der Neurologen. Allerdings mit einem Unterschied und vielleicht liegt hier ein Grund dafür, warum die Rezeption von Butlers Theorien bei Weitem nicht als „berauscht“ beschrieben werden kann. Sicherlich hat dies auch damit zu tun, dass die Naturwissenschaften derzeit stärker in Mode sind als die Geisteswissenschaften. Die Spannung wird nicht in einer alles beherrschenden Natur des Menschen aufgelöst, sondern in einer alles beherrschenden Kultur. Butler entwirft einen Blick auf das Konstrukt Individuum, der es in einen sozio-historischen Rahmen einbettet. Sie geht davon aus, dass Subjekte in bestimmten zeitlichen und sozialen Kontexten von ihrer Umwelt konstituiert werden. Das kulturelle Umfeld bringt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Art Mensch hervor, der dann auf bestimmte bereits bestehende Handlungsmöglichkeiten zurückgreift.
Ob nun allerdings die Kultur oder die Natur als Urheber eines fremdgesteuerten Individuums gesehen werden, macht in letzter Konsequenz keinen großen Unterschied. Denn auch die Neurologie muss durch den Umstand, dass das Gehirn und seine neuronalen Verbindungen sich nur durch äußere Einflüsse entwickeln, einen Umwelteinfluss zugestehen. Und ein Dekonstruktivist kann das Vorhandensein gewisser natürlicher Gegebenheiten der menschlichen Konstitution niemals ganz leugnen. Der Prozess, mit dem in beiden Fällen das menschliche Wesen als nicht durch sich selbst bestimmt charakterisiert wird, ist also zumindest sehr ähnlich. Was bei den Dekonstruktivisten wie Butler allerdings hinzukommt, ist, dass die Prozesse der Entstehung des Subjektes detailliert beleuchtet werden. Sie untersucht die Faktoren, welche die Subjektbildung beeinflussen und auch die Möglichkeit der Beeinflussung dieser Faktoren. Dadurch, dass sie mit einer kulturellen Konstruktion arbeitet, ergeben sich solche Möglichkeiten natürlich relativ leicht – zumindest theoretisch. Sie setzt sich also mit den moralischen und handlungstheoretischen Folgen einer Auflösung des Individuums auseinander. Dabei wirft Butler ganz konkrete Fragen nach der individuellen (auch geschlechtlichen) Identität, nach Vorlieben, Wünschen und Gefühlen von Personen auf und untersucht, wie man in diesem Zusammenhang zwischenmenschliche Beziehungen beschreiben kann. Obwohl man an diesem Punkt einwenden muss, dass die Neurologie (oder die Thesen der Neurologie, die populärwissenschaftlich diskutiert werden) eine Beeinflussung durch die Umwelt (und sei es durch genetische Manipulation) prinzipiell ebenfalls zulässt.
Genau hier liegt aber der eigentliche Unterschied zwischen den beiden skizzierten dekonstruktivistischen Herangehensweisen. Der soziologische Dekonstruktivismus, als alter Kämpfer, der schon lange im Ring steht, hat bereits Weltbilder entworfen, in denen auch ein nicht mehr freies Individuum handeln und Verantwortung übernehmen kann. Selbstverständlich treten bei den dekonstruktivistischen Theorien hier viele komplexe Probleme auf. Die ersten Schritte in diese Richtung sind aber getan. Der neurologische Determinismus – so wie er bislang in seiner populären Form auf der Bühne der öffentlichen Diskussion erschienen ist – bringt zunächst einmal lediglich die reine Dekonstruktion des freien Willens und der persönlichen Verantwortung in den Ring. Es scheint, als wäre dieser Blanko-Freispruch an sich für die Menschen zunächst reizvoll. In den 90er Jahren haben sie sich hingegen stark gegen die dekonstruktivistischen Theorien einer Judith Butler gewehrt. Dies mag daran liegen, dass die Welt mittlerweile immer globalisierter und unüberschaubarer geworden und das Bedürfnis nach einer Pause im selbstständigen Denken und Handeln somit heute gewachsen ist. Aber es könnte auch schlicht und einfach daran liegen, dass der neurologische Determinismus noch nicht so weit in das Privatleben vorgedrungen ist, wie die Dekonstruktivisten. Werden seine Theorien bald auf einer intimeren Ebene diskutiert und fühlen sich die Menschen erst in ihren sexuellen und sonstigen individuellen Bedürfnissen hinterfragt und beeinträchtigt, wird der Jubel eventuell abrupt nachlassen. Wie Assheuer in seinem Artikel unter Bezugnahme auf Friedrich Schiller ganz richtig bemerkt, macht die Gesellschaft doch jeden Tag in den zwischenmenschlichen Kommunikationszusammenhängen die Erfahrung, dass sie sehr wohl etwas entscheiden, handeln und urteilen können. Wirklich bejubelt werden wird wohl erst ein Dekonstruktivismus – egal ob natur- oder geisteswissenschaftlicher Art – der diese kommunikativen Alltags-Erfahrungen überzeugend integriert.
Wenn allerdings die dekonstruktivistischen Tendenzen seit mehreren Jahrzehnten in unserer Gesellschaft erkennbar sind und anscheinend auf eine steigende Zahl wissenschaftlicher Disziplinen überspringen, ist es nicht damit getan, auf Problembereiche dieser Denkweise hinzuweisen. Zudem ist die wissenschaftliche Ausbreitung – ganz abgesehen von den sonstigen Bereichen der Gesellschaft, in dem man ihm begegnet – ein Zeichen dafür, dass er mehr ist als eine Mode-Erscheinung oder das temporäre unterbewusst ausgedrückte Bedürfnis einer Gesellschaft, die Verantwortung für ihr Tun abzugeben. Vielleicht ist dies tatsächlich nur eine Runde im alten Streit zwischen den Deterministen und den Verfechtern des selbstständig handelnden Menschen. Aber es scheint eine lange Runde zu sein, in welcher der Determinismus derzeit die spannendere und Erfolg versprechendere Technik hat. Auf jeden Fall lohnt es sich, diesen Kampf genau zu verfolgen. Vielleicht bringt er uns mit der Zeit eine ganz neue Sicht auf die Welt, die überzeugen und inspirieren kann. Vielleicht gelingt es ihm tatsächlich, die zerrissenen Verhältnisse der globalisierten Welt in neue Zusammenhänge zu stellen, die wieder mehr Sicherheit und Ordnung bieten, ohne dabei die alltäglichen Kommunikations-Erfahrungen der Menschen zu verleugnen.