Juli 12, 2009
Ein Sinn für die Realität kann politisches Engagement nicht ersetzen. Eine Replik auf Jan Martin Wiardas „Reine Realos“ in DIE ZEIT Nr.11 2009
Die Debatte um das fehlende politische Engagement der Studenten, ja deren Desinteresse an Politik, schlägt hohe Wellen. Bevor man in Anklage oder Verteidigung der Nachwuchsakademiker ausbricht, sollte man allerdings einen Moment innehalten, um zu fragen, worum sich diese Diskussion eigentlich dreht. Hinter den Vorwürfen, die seitens älterer Generationen geäußert werden, scheint sich eine Anspruchshaltung zu verbergen. Aufgrund bereits abgeleisteter politischer Revolution möchten die heute nicht mehr Studierenden offensichtlich alle politische Verantwortung auf den noch Studierenden abladen und prangern diese für mangelndes Verantwortungsgefühl an. Daraus ergeben sich einerseits die Frage nach der Berechtigung derartiger Ansprüche und andererseits die Frage, ob die Jüngeren tatsächlich so apolitisch eingestellt sind. Wiarda bescheinigt den Studenten von heute beispielsweise keinesfalls fehlendes politisches Interesse, sondern im Gegenteil einen ausgeprägten Sinn für die Realität. Doch was soll das bedeuten?
Die positive Einstellung zum Wettbewerb in den Märkten, die ausgeprägte Leidensbereitschaft der Generation Praktikum und der fehlende Enthusiasmus für politische Parteien deutet darauf hin, dass die jungen Akademiker sich an einem Weltbild orientieren, das dem des politischen Realismus tatsächlich sehr nahe kommt. Die Begründer dieser Einstellung, die von einem natürlichen Egoismus des Menschen ausgingen und annahmen, dass jeder seinem Nächsten ein Raubtier sei, waren jedoch an Veränderung nicht desinteressiert. Im Gegenteil plädierten sie für starke politische und gesellschaftliche Regelungen, die den Menschen davon abhalten sollten, seine Nachbarn zu zerfleischen. Eine politisch-realistische Einstellung kann also nicht als Entschuldigung herhalten, dass die nächste Generation der Studierenden die Verhältnisse so akzeptiert wie sie sind, sich selbst die nächste ist und Erfüllung oder Ideale nur noch im Privatleben oder in zeitlich begrenzten ehrenamtlichen Projekten sucht. Diese Abwendung vom Engagement für die Gesellschaft als Ganzes kann man durch ein grundsätzlich negatives Menschenbild erklären und als Abwendung vom politischen Engagement bezeichnen. Denn dieses ist grundsätzlich ein öffentliches, das auf die Beantwortung der Frage „In welcher Welt wollen wir leben?“ abzielt und nicht etwa eine Lösung für die Frage „Wie kann ich mich in dieser Welt am besten einrichten?“ sucht.
Die Jugend ist seit langem nicht nur Symbolträger für irgendein Engagement in der Gesellschaft, sondern für eine kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen. Gerade in der derzeitig so schwierigen wirtschaftlichen Lage, so könnte man meinen, müssten sich doch die heranwachsenden Akademiker auflehnen, die im Elfenbeinturm viel Zeit zum Debattieren haben, und noch nicht so fest im System verwurzelt sind. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die bereits in dieser Welt Etablierten von den nachfolgenden Generationen automatisch ein – kritisches – politisches Engagement erwarten dürfen. Gerade weil die Nachwuchsakademiker heute die Angst vor dem sozialen Abstieg am eigenen Leib erfahren, so könnte man argumentieren, haben sie das Recht, vor allem an die eigene Haut zu denken. Besonders, weil auch der vermeintlich freie Elfenbeinturm mehr und mehr zu einem Laufrad der Leistungsgesellschaft wird. Der aktuelle Konflikt, der unterschwellig in der Debatte um das politische Desinteresse der Studenten ausgetragen wird, scheint also in einer falschen Erwartungshaltung begründet zu sein.
Die älteren Generationen, die sich in der Erinnerung an ein (vermeintlich) besonders ausgeprägtes politisches Engagement ihrer eigenen Studentenzeit erinnern, lehnen sich entspannt in dem Bewusstsein zurück, ihren Beitrag bereits geleistet zu haben. Nun ist die kommende Generation an der Reihe und wenn sie diesen Auftrag nicht erfüllen möchte, dann muss sie dafür öffentlich an den (Medien-)Pranger gestellt werden. Und zwar so lange, bis sie sich bequemt, ihre demokratische Pflicht zu übernehmen. Wer sich standhaft weigert, wird als egoistischer Systemsklave denunziert. Dabei ist es sicherlich richtig, dass eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse nur durch das Mitwirken der geistigen Eliten bzw. des Mittelstandes erreicht werden kann. Wenn sich alle an das klammern, was sie zusammengerafft haben oder noch zusammenraffen können, werden die bestehenden Verhältnisse damit nur untermauert. Ein alleiniges Engagement derjenigen, die bereits auf die unteren sozialen Plätze abgerutscht sind, wird zudem im politischen Raum nicht die gewünschte Kraft entfalten können.
Aber sind deswegen die jungen Eliten besonders gefordert? Wer sagt denn, dass sich ausgerechnet die Studenten engagieren müssen, die heute eben nicht mehr in dem beruhigenden Wissen demonstrieren können, dass nach dem Studium eine gemütliche Festanstellung auf sie wartet? Die Antwort darauf lautet: Dies sagen genau diejenigen, die sich heute im bestehenden System einigermaßen bequem eingerichtet haben und meinen, sie seien durch ihre (vermeintlich) glorreiche Jugend von jeglicher politischer Pflicht befreit. So wird der schwarze Peter des politischen Desinteresses von einem Lager ins andere geschoben, obwohl beide Lager sich dadurch auszeichnen, dass sie zunächst an die eigene Haut denken. Realpolitisch zu konstatieren, dass dies ein natürlicher Zustand sei, ist nicht genug (ganz abgehen von der Frage, ob diese Einschätzung zutreffend ist). Wenn die Generationen weiterhin gemeinsam in einer Gesellschaft agieren wollen, die allen (Über-)Lebensraum bietet, müssen sie sich an die eigene Nase fassen und über Regeln nachdenken, die Menschen davon abhalten, in derartigen Egoismus zu verfallen. Demokratie ist ein dynamischer Prozess, bei dem alle Bürger lebenslang gefordert sind. Die jungen in genau dem gleichen Maße wie die alten. Ob ein gelegentliches ehrenamtliches Projekt die Welt tatsächlich zu einem lebenswerteren Ort macht, sei dahingestellt. Fest steht, dass die durchschnittliche Lebensqualität definitiv gesteigert werden könnte, wenn die gegnerischen Lager die Energie, die sie momentan auf die eigene Verteidigung und das Anschwärzen des jeweils anderen verwenden, in die Gemeinschaft investieren würden – in welcher Form auch immer.
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