August 31, 2009

Die vergessenen Menschen


Wie wollen wir jemals in einer toleranten Gesellschaft leben, wenn wir von Geburt an Menschen aussortieren? Behinderte Kinder, Erwachsene und ältere Menschen werden in speziellen Einrichtungen gepflegt und aufbewahrt, damit sie das angenehme Gesamtbild nicht stören. Die Lage von Kindern mit besonderem Förderbedarf in Deutschland wird von Martin Spiewak im Artikel "Ausgesondert: Die meisten Kinder mit Behinderungen gehören in normale Schulen. Nur Deutschland hat das noch nicht verstanden" in DIE ZEIT Nr. 36 vom 27. August 2009 dargestellt. Er spricht die wenigen löblichen Ausnahmen an und vergleicht Deutschland mit anderen Ländern sowie mit den Anforderungen der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, die seit März 2009 auch hierzulande gilt.

Liegt dieser Gesellschaftsorganisation der Wunsch nach angemessener Behandlung zugrunde oder eher eine typisch menschliche Neigung zur Verdrängung? Warum sich mit dem Besonderen bzw. mit dem Nicht-Norm-Konformen auseinandersetzen, wenn man dies doch auch einfach aussondern kann? Individuelle Strategien, derartigen Ausgrenzungen entgegenzutreten, scheinen nicht viel bewirken zu können. Und doch kann man sich auch als Einzelner mit dem älteren Nachbarn oder der behinderten Mitschülerin des eigenen Kindes auseinandersetzen. Man könnte das in der Wohngegend ansässige Pflegeheim zumindest einmal besuchen oder sich beim Verkehrsverbund über fehlende behindertengerechte Aufzüge an nach wie vor viel zu vielen Bahnhöfen beschweren.

Obwohl institutionalisierte Abtrennung bestimmter Gruppen von der normalen Gesellschaft nicht auf privater Ebene rückgängig gemacht werden kann, ist individuelles Engagement durchaus fähig, Kanten zu glätten. Selbstverständlich muss das größere Ziel eine Veränderung der Institutionen sein. Die UN-Konvention ist hoffentlich ein Schritt in diese Richtung. Aber bis die großen Weichen sich auf dieses neue Ziel eingestellt haben, können viele kleine Schritte von einzelnen Menschen gemacht werden. Vielleicht sind es sogar die zwischenmenschlichen Kontaktaufnahmen, die das tatsächliche Zusammenleben am Ende stärker bestimmen als die institutionellen Veränderungen.

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