Juli 18, 2009

Wirtschaftskrise oder Systemkrise?


Es ist schade, dass in diesen schwierigen Zeiten so viel von der aktuellen Krise und so wenig von strukturellen Ursachen gesprochen wird. Im politischen Dialog fällt die Abwesenheit von echten Alternativen auf. Hat eine Partei eine echte Vision davon, wie Deutschland, geschweige denn die Welt, in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll? Man bekommt das Gefühl, es gehe immer nur um kurzfristige Abhilfe, ohne dass dabei weiter in die Zukunft geschaut wird. Diese Situation könnte man fast schon als unheimlich bezeichnen. Daher möchte ich hier zwei Beiträge empfehlen, die mir zum Thema Zukunftsvision gefallen haben:

1) Der Artikel „Wir könnten auch anders“ von Wolfgang Uchatius aus DIE ZEIT, 20.05.2009 Nr. 22.

Uchatius diskutiert das aktuelle System ausführlich und übersichtlich und stellt genaue Überlegungen zu bestehenden Abweichungen und möglichen Alternativen an.

2) Der „Film zur Jahrhundertchance“ vom Global Change 2009 e.V.

Auch wenn er etwas plakativ und sehr idealistisch ist, werden doch wichtige Fragen gestellt und ein anschaulicher Überblick über die Zusammenhänge der Marktwirtschaft gegeben. Allerdings dauert der Beitrag ca. 30 Minuten.
(Vielen Dank an Lena für diesen Hinweis!)

5 Kommentare:

  1. "Hat eine Partei eine echte Vision davon, wie Deutschland, geschweige denn die Welt, in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll? Man bekommt das Gefühl, es gehe immer nur um kurzfristige Abhilfe, ohne dass dabei weiter in die Zukunft geschaut wird."

    Dreh und Angelpunkt ist immer die Frage, für wen die Parteien bzw. Regierung(en) diese Politik machen. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, es gebe das interessierte, politisch aufmerksame oder sogar nachhaltig denkende Volk. Zudem ist jedweder unattraktiver nicht sofortige Besserung versprechender Politikprakmatismus das Größte Hemmnis für kontinuierliche Möglichkeiten zur Verwirklichung systemstruktureller Veränderung. Das Problem der Politik ist die Wahl. Der sehr kurze Turnus der Rechtfertigung, in dem überwiegend vorzeigbare Erfolge den Ausschlag für den Aufbau einer nachhaltigen Veränderung darstellen, bewegt den Souverän ganz simpel eher zur erneuten Befugnis mit dem eigenen Leben zu hantieren. Verfällt allerdings die Legislatur, büßt der Souverän Macht ein. Auch ein unhaltbarer Zustand. Betrachtet man die Amtsperioden Adenauers und Kohls, die über ein Jahrzehnt andauerten, so erkennt man in diesen Zeiten ein größeres strukturelles Veränderungspotential. Doch formiert sich in einer solch lange Zeit auch ein immer größerer Kritikkatalog.
    In der Geschichte gibt es eine Grundsatzfrage. Man kann Sie auf nahezu jede Veränderung anwenden. Hat die Erfindung der Dampfmachine die Industrialisierung ausgelöst? Konnten die Städte deshalb so wachsen und die Bevölkerung so in die Höhe schießen, oder hat die wachsenden Bevölkerung und die daraus resultierende Not die Erfindung hervorgebracht, ja geradezu erzwungen. Die Frage auf die Wirtschaftskrise angewandt: Ist die Not hausgemacht, oder unverschuldet und was gab es vorher für Veränderungen bzw. welche erzwingt die Krise? Neuerungen, die in ein neues Zeitalter bzw. Bewußtsein überleiten? Wir brauchen diese Krise. Vielleicht haben wir ja auch Glück. StS

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  2. Ich finde den Gedanken, dass wir diese Krise vielleicht brauchen sehr interessant. Trotzdem denke ich, dass ein Staat langfristig darauf hinarbeiten sollte, seinen Bürgern eine flächendeckende Bildung in dem Maße zu ermöglichen, dass sie in Wahlsituationen eben auch auf die langfristigen Ziele der Parteien achten. Das Volk MUSS ja nicht uninteressiert sein.

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  3. Mir ist nach längerem darüber Nachdenken noch etwas anderes dazu eingefallen:

    1) Ich glaube, man kann jeden Menschen für ein Ziel begeistern, wenn dieses etwas für ihn Positives bereit hält. Auch wenn er die Maßnahmen, um dort hin zu gelangen vielleicht nicht komplett durchschaut und auch wenn diese vielleicht keine kurzfristigen Verbesserungen bringen.

    2) Ganz konkret: Ich glaube, es gäbe schon einige recht kurzfristige Verbesserungen, die bei Änderungen auf systemischer Ebene einzuführen wären: z.B. beim Job-Sharing mehr Arbeitsplätze oder beim Grundgehalt eben sicheres Einkommen für alle. Das einzige, wovon man sich tatsächlich veranschieden müsste, wäre die Möglichkeit superreich zu werden. Was allerings eher die wenigen Superreichen und nicht die Masse der Wähler stören dürfte. Wenn die Welt in Zukunft irgendwann einmal für alle Bewohner annähernd gerecht werden soll, brauchen wir sowieso noch viel mehr Bescheidenheit.

    Was ich damit sagen will: liegt das Problem nicht eigentlich woanders? Es sind doch nicht die Massen der Wähler, die sich dagegen wehren würden, wenn bestehendes Kapital neu verteilt, bzw. die bestehenden Regeln geändert werden würden. Es sind doch eher die wenigen bereits heute Reichen und Mächtigen, die (übrigens vielleicht gar nicht aus kurzfristigen, sondern eher aus langfristigen Überlegungen heraus) dies nicht wollen. Wozu man auch Politiker selbst zählen kann. Und diese Reichen und Mächtigen können per definitionem besser auf die Politik einwirken als die Masse der Wähler. Dazu fand ich den empfohlenen Film ganz gut, weil er aus einer Perpektive beginnt, in der er das Volk aufruft, wieder die Macht zu ergreifen bzw. zu erkennen, dass es doch eigentlich selbst die Macht im Staat haben sollte.

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  4. Kleine Anmerkung dazu. Im Grundgesetzt steht etwas, was im Allgemeinen vergessen wird und generell unbekannt ist, aber doch die Grundlage allen Zusammlebens in unserer Gesellschaft darstellen sollte:

    Art. 14 §2
    Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.


    Ergo, das Anhäufen von Reichtum nur zum Zwecke der eigenen Möglichkeiten- udn Machterweiterung ist gesetzeswiedrig.

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  5. Ich denke, "was im Allgemeinen vergessen wird" ist hier der springende Satz - um einen bestehenden Ausdruck anzupassen - und zwar in jeder Beziehung. Ich habe z.B. noch nie von einem Prozess wegen des unrechtmäßigen Einsatzes von Eigentum gehört.

    Im Prinzip fehlt zur strafrechtlichen Verfolgung auch die Ausweitung der Möglichkeiten, Unternehmer bzw. Unternehmen zu belangen. Das hat man ja bei der Diskussion um die Schuld der maßgeblich an den unlängst passierten desaströsen Bankgeschäften beteiligten Manager gesehen. Die Verpflichtung der Firmen, obwohl sie ja auch Eigentum darstellen, ist nicht ausreichend geklärt bzw. die fehlende private Haftung ist meiner Meinung nach so nicht zum Wohle der Allgemeinheit.

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