August 01, 2009

Wie wichtig ist Spielen?


Tanja Stelzer spricht in ihrem gut recherchierten Artikel „Ich will doch nur spielen“ im Zeitmagazin 32/2009: 10-14 wichtige Aspekte des Umgangs unserer Gesellschaft mit den (vermeintlichen) Defiziten von Kindern an. Es geht um die ewige Über-Förderung und den Terminstress, dem die Kinder teilweise schon im Grundschulalter ausgesetzt werden. Schön hinterfragt von Stelzer: Liegt dies evtl. daran, dass die Eltern keine Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen? Werden sie deswegen von Termin zu Termin gehetzt? Ebenfalls informativ sind die von ihr zusammengetragenen Studien, die besagen, dass statistisch gesehen besonders intelligente Eltern nur weniger intelligente Kinder (und umgekehrt) zu erwarten haben. Daraus kann natürlich eine zu hohe Erwartung resultieren.

„Wie oft sehen wir unsere Kinder an und halten das, was wir sehen, für ein Spiegelbild unserer selbst? Wie oft denken wir den Satz: ‚Warum macht er das jetzt nicht? Ich hab das doch in dem Alter schon lange gekonnt!’ Wir müssen lernen, dass Kinder nicht Abziehbilder von uns selbst sind, nicht die Leinwand für unsere Projektionen. Sie gehören uns nicht – wir müssen sie verteidigen gegen das Räderwerk, in dem wir selbst stecken“ (Stelzer, 2009 14).

Selbstverständlich wäre viel gewonnen, wenn die Sorge der Eltern nicht in Hysterie ausarten und jede kleine Auffälligkeit, die früher als völlig normal galt, zum Therapeuten gezerrt würde. Auch glaube ich, dass eine individuellere Bestimmung des Einschulungsalters die Verhältnisse verbessern könnte. Wie in dem Artikel gut aufgezeigt, ist das Entwicklungsspektrum von Kindern relativ zu ihrem Alter nun einmal sehr groß. Wenn noch nicht weit entwickelte Kinder in den Druck geraten, genauso gut sein zu müssen wie ihre Klassenkameraden, kann dies nicht gut für ihre Entwicklung sein. Auch die oft diskutierten Zusammenhänge zwischen geistiger und körperlicher Entwicklung, die von Stelzer gestreift werden, sind wichtig.

Ich weiß allerdings nicht, ob mehr Spielen und weniger Druck als Empfehlungsansatz ausreichen. Auch die aufgezeigten Zusammenhänge scheinen mir zu kurz gegriffen. Die Frage, die sich mir in diesem Zusammenhang stellt, geht tiefer: Woher kommt die Orientierungslosigkeit der Eltern, die sie nötigt, ihr Kind von Förderungsmaßnahme zu Förderungsmaßnahme zu schleifen und ihnen auch noch den kleinsten Konflikt abzunehmen? Ginge es ihnen tatsächlich nur um das Wohl der Kinder – da stimme ich mit Stelzer überein – würden sie höchstwahrscheinlich öfter zu Kinderpsychotherapeuten gehen, die immer auch die Eltern begutachten.

Es ist nicht damit getan, darauf hinzuweisen, dass Eltern ihre Kinder einfach nur abschieben wollen. Dies wäre schließlich auch mit einer Spielekonsole getan. So schwierig sich dies für Großstädter manchmal gestaltet, auch die Kinder allein zum Spielplatz o.ä. gehen zu lassen, wäre eine Möglichkeit. Zudem könnte man sie auch einfach in ihr Zimmer schicken. Das Verhältnis ist offensichtlich komplexer. Es scheint mir eher eine Verunsicherung darüber zu bestehen, was es heißt, gute Eltern zu sein. Läge die Angst hier, würde das Ausweichen vor familientherapeutischen Maßnahmen zugunsten von Therapien, die nur die Kinder betreffen, sich ebenfalls erklären: Die eigene Unsicherheit wird auf das Kind projiziert, ohne dass die Eltern sich den eigenen Ängsten stellen wollen.

Es fehlen eindeutige und gesamtgesellschaftlich akzeptierte Maßstäbe, an denen man sich orientieren kann. Jeder erzieht auf eine andere Art und Weise und eine echte Instanz, die darüber richtet, welche Maßnahmen gut sind, fehlt. Natürlich spielen bei der übertriebenen Sorge auch die eigene Bildung und die immer häufiger auftretende Situation des Einzelkindes eine Rolle. Entwicklungspsychologen betonen die Bedeutung des Kontaktes zu Gleichaltrigen. Fällt dieser am Anfang der Kindheit weg (auch, weil Mütter sofort beim kleinsten Konflikt auf dem Spielplatz einschreiten) kann daraus nur Unsicherheit auf Seiten der Kinder resultieren, wie sie mit ihren Mitmenschen umzugehen haben.

Dennoch glaube ich, dass das Vorbild der verunsicherten Eltern die größere Verunsicherung beim Kind hervorruft. Wenn man ihm keine klaren Maßstäbe vermittelt, woher soll es dann ein Gefühl dafür bekommen, welche Aktivitäten Priorität haben? Ein Kind damit zu konfrontieren, dass es alles lernen soll, schreckt nicht nur ab, sondern stresst zudem.

Was ist also das Rezept, um sich dem Konflikt zwischen dem zu viel und dem zu wenig für sein Kind tun zu entziehen? Ich glaube, es reicht nicht aus, für mehr Spielen und weniger Termine (respektive Therapien) zu plädieren. Es ist viel wichtiger, klare Maßstäbe zu setzen, an denen sich das Kind orientieren kann. Dazu muss man dem Kind als souveränes Vorbild erscheinen, das in der Hektik des Alltags eben selbst klare Prioritäten setzt. Um auch noch die emotionale Seite des Kindes anzusprechen, sollte die Priorität auf der Familie liegen und damit auch darauf, Zeit miteinander zu verbringen. Darüber hinaus kann man das Kind auch einfach fragen, was es möchte, ob es sich in der Klasse zu gestresst fühlt etc. Selbstständigkeit liegt schließlich auch darin, zu versuchen, die Umstände zu beherrschen und sich nicht von ihnen beherrschen zu lassen.

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