September 02, 2009

Das Ich und das Hirn


Obwohl die Biologie seit Kurzem immer wieder Angriffe auf die Subjektivität, die Willensfreiheit und eine philosophisch gefasste Ethik unternimmt, bleibt vieles innerhalb ihres Vokabulars ein Rätsel. Wie ich bereits im Beitrag "Ethics Can Only be Described by Moral Understanding" (geposted Juli 15, 2009) ausgeführt habe, scheint es logisch unmöglich, einen Sachverhalt mit einer Theorie erklären zu wollen, der in dieser Theorie gänzlich unsichtbar bleibt. Mit einem Ansatz, der versucht, wissenschaftlich objektiv zu sein, kann demnach keine moralische Bewertung beschrieben werden. So weichen viele (Neuro-)Biologen darauf aus, die zur subjektiven Erfahrung gehörenden Bereiche schlichtweg als Illusionen zu bezeichnen. Wenn Ethik allerdings in unseren Kulturen vorkommt (und das Bestehen der Goldenen Regel als eines der ältesten Zeugnisse moralischen Denkens lässt sich z.B. einige Tausend Jahre zurückverfolgen vgl. Rentsch, 1990 259) und es in entsprechenden Diskurs tatsächlich um Bewertungen geht, dann läuft die Ignoranz der Naturwissenschaften auf schlichtweg unwissenschaftliche Borniertheit hinaus.

Ich denke, dass die Debatten, die um Abtreibung, Religion, Stammzellenforschung und so weiter geführt werden, sich nicht als reine Auseinandersetzungen mit den kulturellen Gepflogenheiten beschreiben lassen. Es geht den Teilnehmern hierbei nicht darum, auszuhandeln, welche Verhaltensweisen in welchen Kulturkreisen normal oder angemessen sind, sondern darum, zu bestimmen, was moralisch richtig ist. Darum brauchen wir bei der Debatte um Ethik ein anderes Denkmodell als das Biologische. Ich würde sogar wagen, zu behaupten, dass das biologische Vokabular uns bei keinem Sachverhalt weiterhilft, der sich darum dreht, was es heißt, menschlich zu sein.

Der philosophische Streit, der dem heutigen Diskurs zugrunde liegt, ist bereits alt und lässt sich am Leib-/Seele-Problem festmachen. Unlängst wurde ein Interview mit dem Tübinger Philosophen Manfred Frank veröffentlicht, in dem die grundlegenden Schwierigkeiten in dieser Hinsicht wunderbar klar und deutlich werden: "Der Mensch bleibt sich ein Rätsel". Es ist ein Gespräch über den Streit zwischen Hirnforschung und Philosophie über die Freiheit (und das Selbst-Bewusstsein) des Menschen. Abgesehen davon, dass es in verständlichem Ton alle wichtigen Punkte anspricht, bringt Frank in einem Satz das Ausschlaggebende auf den Punkt: "Alles Wesentliche, das wir mit dem Gedanken der Menschheit verbinden, verknüpfen wir doch mit dem Gedanken der Subjektivität und nicht mit unserer Vorstellung vom Gehirn"(ebd. 53). Auch wenn Frank im Gegensatz zu den postmodernen, poststrukturalistischen Sichtweisen, denen ich anhänge, eine eher konservative Position zukommt, ist das Gespräch doch höchst lesenswert und ordnet die Problematik in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang ein.



Sources
Rentsch, Thomas. Die Konstitution der Moralität – Transzendentale Anthropologie und praktische Philosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990.
Schnabel, Ulrich und Thomas Assheuer. "Der Mensch bleibt sich ein Rätsel". DIE ZEIT Nr. 36 vom 27. August 2009, 52-53.

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