Juli 16, 2011
Das Unbehangen an der Hochkultur
Im Feuilleton der ZEIT wurde dieser Tage um die Hochkultur gestritten. Trotz der fadenscheinigen Einbettung dieser Frage in einen Hintergrund der Finanzierung von Kultur aus öffentlicher Hand, ist dieses Thema eine eingehendere Betrachtung Wert. Es wurde unter anderem versucht, die Unterscheidung zwischen Hochkultur und Popkultur mangels verlässlicher Maßstäbe zu dekonstruieren. Ich möchte im Folgenden einige Gedanken zu einer solchen Differenzierung festhalten. Dabei ist es allerdings unerlässlich, kurz auf die angesprochenen finanziellen Hintergründe einzugehen.
Aufhänger der ZEIT-Artikel ist eine Rechtfertigung der öffentlichen Subventionen für vermeintlich höherwertige Kultur trotz des geringen Prozentsatzes der profitierenden Bevölkerung. Dies scheint mir eine Scheindebatte zu sein. Wenn man bedenkt, dass laut Bundeszentrale für politische Bildung die Gesamtausgaben der öffentlichen Haushalte für den Kulturbereich 2008 bei lediglich 1,62 Prozent ihres Gesamtetats lagen (Quelle: Statistisches Bundesamt), dann scheint es regelrecht lächerlich, sich über eine spezifische Rechtfertigung von Ausgaben in dieser Größenordnung Gedanken zu machen. Kulturausgaben an sich können in ihrem grundsätzlichen Wert für eine vielfältige Gesellschaft m. E. kaum bezweifelt werden. Zunächst muss man also festhalten, dass eine Debatte über Hochkultur und Popkultur keinerlei Auswirkungen auf die öffentlichen Ausgaben im Kultursektor haben sollte. Wenn derartige Argumente zur Frage der Subventionen herangezogen werden, dann nur, um offensichtlich nicht zu rechtfertigenden Kürzungen einen demokratischen Anstrich zu geben.
Abgesehen von der absurden Fassade attestiert Jens Jessen den westlichen Gesellschaften zutreffend ein Unbehagen an der Hochkultur und den damit einhergehenden sozialen Differenzierungen. Spätestens seit Walter Benjamin in seinem berühmten Aufsatz über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit einen hoffnungsvollen Abgesang auf die Aura der Kunstwerke gesungen hat, steht die Frage nach der Differenzierung von Hochkulturgütern im Gegensatz zu massenproduzierter (und massenproduzierender) Kunst im Raum. Betont nüchtern und objektiv möchte Jessen nun auf diesem Unterschied beharren und schmilzt ihn letztlich auf die soziale Selektion zusammen. Statt sich im Anschluss aber folgerichtig ganz auf Fragen der sozialen Macht zu konzentrieren, bringt er doch eine inhaltlich qualitative Argumentation ins Spiel. Güter der Hochkultur „versprechen … hohen Unterhaltungswert, nur freilich auf einem anderen Niveau, der Komplexität, aber auch der Bildung, die sie voraussetzen. Für die einen ist Philip Roth zu kompliziert, um unterhaltend zu sein; für die anderen Dan Brown zu simpel. Das ist alles, aber wahrscheinlich auch schon der Kern des Skandals. Der Begriff der Hochkultur sortiert das Publikum“ (Jessen, 2011).
Ich möchte an dieser Stelle auf einen Fehlschluss hinweisen. Auch ich würde wie Jessen und auch Thomas Assheuer in der gleichen Ausgabe für eine Förderung der Kultur argumentieren. Wie die beiden sehe ich durchaus einen Zusammenhang zwischen ästhetischer Erfahrung und individueller Entwicklung, bis hin zum demokratischen und Freiheits-Bewusstsein. Entgegen dem Beitrag von Kathrin Passig, die in einem Interview eine Abgrenzung der Hochkultur durch Reduktion auf geschmackliche Präferenz komplett nivellieren möchte, würde ich Jessen insofern zustimmen, als dass man etwas mit der Bezeichnung Hochkultur ausdrückt. Es handelt sich nicht um eine leere Worthülse. Und doch, kann nicht einfach von Differenz auf Niveau geschlossen werden, wie er es tut.
Selbstverständlich setzt der differenzierte Genuss eines Kunstwerkes eine bestimmte Bildung voraus (neutraler könnte man hier Sozialisation oder Enkulturation sagen). Aber nur, weil die sogenannte Popkultur auf soziales Wissen zurückgreift, das durchschnittlich breiter verteilt ist als das Wissen, das man zum Genuss der Hochkultur benötigt, kann man hier noch nicht von einem höheren Niveau sprechen. William Shakespeares Theaterstücke griffen zu seiner Zeit z. B. auf weit verbreitete gesellschaftliche Diskurse zurück und können im Zeitraum ihrer Entstehung sicher eher als populäre Kultur beschrieben werden. Differenz ist nicht gleichbedeutend mit Niveau und Komplexität bedeutet nicht automatisch Qualität. Zunächst sollte festgehalten werden, dass ein breiteres Wissen grundsätzlich den Genuss jedes Kunstwerkes erhöhen kann – egal ob Pop- oder Hochkultur. Wie Jessen feststellt, zitiert auch die populäre Kunst die Hochkultur (ob unbewusst oder bewusst) und eine größere Bildung befähigt den Kunstbetrachter dazu, mehr und komplexere Verknüpfungen zu jedem Werk anzustellen. Hier kann man also eine größere Möglichkeit des Genusses konstatieren; ob die verschiedenen Ebenen vom Betrachter auch tatsächlich als Genuss erfahren werden, sei dahingestellt.
Eine Argumentation für eine vielfältige Kultur (und deren Förderung) sollte doch vielmehr auf der Ebene des sozialen Nutzens vorgenommen werden als auf einer Ebene des vermeintlichen Niveaus. Je größer der Zugang zu komplexen Werken, die spezielles Wissen voraussetzen (und damit potenziell fördern), desto größer die Chance Betrachtern Zugang zu komplexem Wissen und Denken zu verschaffen. Die Erfahrung des ästhetisch Alternativen oder Speziellen (die beliebte Wendung des Anderen, scheint mir eher verwirrend als erhellend) kann somit Bildung fördern und sollte in einem Maß vorgehalten werden, das es der ganzen Bevölkerung erlaubt, davon zu profitieren. Ist nicht der eigentliche Skandal eher, dass wir als Gesellschaft offenbar eine große Masse an Menschen produzieren, die von diesem Mehrwert der Kultur systematisch ausgeschlossen wird? Wer Hochkultur (also spezielle Kultur) in diesem Sinne als Mittel sozialer Ausgrenzung nutzt – und eine derartige Tendenz scheint mir auch bei Jessen anzuklingen – oder wer diese kulturellen Spielarten gleich komplett abschaffen möchte, verhält sich skandalös, weil er Menschen von diesem potenziellen Genuss und dieser potenziellen Bildung ausschließt.
Quellen:
Assheuer, Thomas. „Schock der Bilder.“ DIE ZEIT 7 Juli 2011 46 http://www.zeit.de/2011/28/Assheuer-Hochkultur (16.7.2011).
Benjamin, Walter. „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.“ http://walterbenjamin.ominiverdi.org/wp-content/kunstwerkbenjamin.pdf (16.7.2011).
Jessen, Jens. „Hoch die Hochkultur!“ DIE ZEIT 7 Juli 2011 45 http://www.zeit.de/2011/28/Hochkultur (16.7.2011).
Mangold, Ijoma. „’Kultur sollte behandelt werden wie Nachtisch’ Die Autorin und Internetexpertin Kathrin Passig über Wichtigtuerei, Mainstream und blinden Kulturkonsum.“ DIE ZEIT 7 Juli 2011 46.
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